a. Verhältnis der gesetzlichen Produkthaftung (Artikel 1245 ff. Code civil) zur deliktischen Haftung (Artikel 1240 Code civil) Ist der Anwendungsbereich der Artikel 1245 ff. Code civil eröffnet, verlangt der französische Kassationsgerichtshof für die Geltendmachung eines deliktsrechtlichen Ersat- zanspruchs einschränkend Folgendes: Die erfolgreiche Durchsetzung der verschuldensabhängigen deliktischen Haftung (Artikel 1240 Code civil) verlangt das Vorliegen eines rechtswidrigen Verhaltens, welches nicht nur in der alleinigen Lieferung eines Produkts mit einem sicher- heitsrelevanten Fehler besteht.1 b. Verhältnis zum vertraglichen Mangelgewährleistungsrecht Entsprechend der europäischen Produkthaftungsrichtlinie decken die französischen Regelungen der Artikel 1245 ff. Code civil nur solche Schäden, die durch ein fehlerbehaf- tetes Produkt an Sachen oder an Personen entstehen, jedoch nicht das Produkt selbst. Das Mangelgewährleis- tungsrecht deckt hingegen auch in Frankreich das man- gelbehaftete Produkt selbst. Beruft sich der Geschädigte auf einen Gewährleistungs- anspruch wegen versteckter Mängel nach französischem Kaufrecht, so besteht nach der in Frankreich gängigen Rechtsprechungspraxis in Einzelfällen zudem die Mög- lichkeit, dass der Geschädigte diesen Gewährleistungs- anspruch auch als Direktanspruch gegen den Hersteller geltend macht, und zwar über vertragliche Beziehungen in der Vertragskette hinweg (sog. „action directe“). 4. Geschützter Personenkreis des französischen Produkthaftungsrechts (Artikel 1245 ff. Code civil): B2B und B2C Das französische Kassationsgericht bringt das französische Produkthaftungsgesetz (Artikel 1245 ff. Code civil) sowohl bei Personen- als auch bei Sachschäden zu Gunsten von Verbrauchern und Kaufleuten zur Anwendung, sodass sich im Schadensfall auch gewerbliche Kunden auf die Regelungen der objektiven verschuldensunabhängigen Haftung gemäß Produkthaftungsgesetz berufen können. Hierzu entschied das französische Kassationsgericht er- gänzend, dass auch ausschließlich dem gewerblichen in den Anwendungs- Gebrauch dienende Produkte bereich des französischen Produkthaftungsgesetzes fallen (Kassationsgericht 1. Zivilkammer, Urteil vom 11. Januar 2017, Az.: 16-11.726). Sämtliche Geschädigten können sich hierbei auf die Vor- schriften der Artikel 1245 ff. Code civil berufen: • unmittelbar oder mittelbar Geschädigte, • Verbraucher oder Unternehmer, • Vertragspartner des Herstellers oder Dritte. 5. Wann ist ein Produkt fehlerhaft im Sinne von Artikel 1245-3 Code civil? Die Handhabung des Fehlerbegriffs hält keine wesentli- chen landesspezifischen Besonderheiten bereit. Artikel 1245-3 Code civil definiert ein fehlerhaftes Produkt als eines, das die gewöhnlich vorausgesetzte Sicherheit nicht bietet. Erforderlich ist insoweit eine anormale Gefährdung, welche über das Maß an Risiko hinausgeht, welches dem Produkt bereits aufgrund seiner gewöhnlich vorauszuset- zenden Charakteristika innewohnt. Das französische Kassationsgericht führt hierzu jedoch aus, dass nicht jedes gefährliche Produkt auch zugleich ein fehlerhaftes Produkt im Sinne des Gesetzes darstellt. Die Rechtsprechung stellt streitentscheidend darauf ab, ob ein streitbefangenes Produkt in Ansehung der konkre- ten Umstände, • insbesondere aufgrund seiner Präsentation (inklusive Beschreibung) und des durch die Nutzer legitim zu er- wartenden Verwendungszwecks im Zeitpunkt des In- verkehrbringens und • aufgrund der Erheblichkeit der festgestellten schädi- genden Auswirkungen als fehlerhaft im Sinne des Gesetzes angesehen werden kann. In der Praxis wird zur Beurteilung der Frage, ob ein Produkt fehlerhaft im vorbeschriebenen Sinne ist, regelmäßig ein Sachverständiger hinzugezogen. Dieser wird im Rahmen der Beweissicherung und Beweisaufnahme tätig. 6. In welchem Umfang ist der Hersteller bei Produkthaftungsfällen in Frankreich ersatzpflichtig? a. Haftung gemäß Artikel 1245 ff. Code civil oder nach allgemeinem Deliktsrecht Das französische Schadensersatzrecht folgt bei gesetzli- chen Ansprüchen dem Grundsatz der Totalreparation. Der Schadensersatzanspruch kann im Produkthaftungs- fall grundsätzlich den Ersatz sämtlicher entstandener Schäden, inklusive körperlicher, materieller, wirtschaft- licher, immaterieller und etwaig eingetretener Vermö- gensschäden umfassen. Anders als in den Rechtsordnungen der deutschsprachi- gen Nachbarländer kennt das französische Recht auch keine Obliegenheit des Geschädigten zur Schadens- minderung. Das bedeutet, die Höhe der Ersatzpflicht des Herstellers wird nicht gemindert, wenn der Geschädigte es unterlassen hat, einen Beitrag dazu zu leisten, dass der bereits eingetretene Schaden nicht unnötig groß wird. Der Hersteller bleibt also in vollem Umfang ersatzpflichtig. 1 Beispiel zur verschuldensabhängigen Haftung aus Deliktsrecht gemäß Artikel 1240 Code civil, bei dem ein von dem Inverkehrbringen eines Produkts mit einem sicherheitsrelevanten Fehler unabhängiges Verschulden vorliegt: Kassationsgerichtshof, 1. Zivilkammer, Urteil vom 10. Dezember 2014, Az.: 13-14.314 Produkthaftung 9