I. Was sind die Änderungen bei der Zuständigkeit der Gerichte in Frankreich? Eine der wesentlichen Maßnahmen der Justizreform ist die Zusammenlegung der Amts- und Landgerichte zu einer einzigen einheitlichen Gerichtsbarkeit, dem sogenannten Tribunal judiciaire (Übersetzung etwa: Justizgericht). Wenn sich in ein und derselben Stadt sowohl ein Tribunal de grande instance (französisches Landgericht) als auch ein Tribunal d‘instance (französisches Amtsgericht) be- fanden, wie beispielsweise in Straßburg, wurden diese nun zu einer einzigen einheitlichen Gerichtsbarkeit, die geographisch auf mehrere Standorte verteilt sein kann, dem sogenannten Tribunal judiciaire, zusammengelegt. Diejenigen ehemaligen Amtsgerichte, die sich nicht in derselben Stadt wie ein Landgericht befinden, werden zu örtlichen Kammern des tribunal judicaire, die nun als tribunaux de proximité (Übersetzung etwa: „nahe Ge- richte“) bezeichnet werden. Beispielsweise befinden sich im Zuständigkeitsbereich des Tribunal judiciaire von Straßburg die Tribunaux de proxi- mité Illkirch-Graffenstaden, Haguenau und Schiltigheim. In Handelssachen bleiben in Frankreich weiterhin die Handelsgerichte (Tribunaux de commerce) zuständig. In den Gebieten Elsass-Mosel, wo es traditionell keine Handelsgerichte gibt, bleiben die lokalen Besonderhei- ten bestehen, das heißt die handelsrechtlichen Angele- genheiten werden dort nun vor den Handelskammern innerhalb der „Tribunaux judiciaires“ verhandelt, statt wie bisher vor den Handelskammern der Landgerichte – mit der Besonderheit, dass bei einem Streitwert von weniger als 10.000 € im Elsass und in Moselle weiterhin die „Chambre de proximité“ zuständig ist.“ Welches Gericht ist zuständig? Die Reform des Justizsystems führt auch zu Veränderun- gen in der materiellen Zuständigkeit der Gerichte. Das örtlich zuständige tribunal judiciaire hat eine allge- meine Restzuständigkeit für alle Angelegenheiten, für die nicht ausdrücklich einem anderen Gericht die aus- schließliche Zuständigkeit zugewiesen ist. a) Handelsgerichte Die Zuständigkeit in Handelssachen bleibt unverändert ausdrücklich bei den Handelsgerichten. b) Nahe Gerichtskammern (Chambres de proximité) Das französische Gerichtsorganisationsgesetz (Code de l’organisation judiciaire, COJ) unterteilt, innerhalb der Zuständigkeit des tribunal judiciaire, einige sachliche An- gelegenheiten in die ausschließliche Zuständigkeit der „Chambres de proximité“, die gesetzlich ausdrücklich aufgelistet sind. Neben diesen besonderen Zuständigkeiten sind die Chambres de proximité gemäß Artikel R. 213-9-6 des französischen Gerichtsorganisationsgesetzes für solche Streitigkeiten zuständig, die in die Zuständigkeit des Richters für Streitigkeiten und Schutz (Juge des conten- tieux et de la protection) fallen. Es geht hierbei insbe- sondere um Mietverträge, Vormundschaften und Ver- braucherangelegenheiten, deren Streitwerte 10.000 € nicht übersteigen. Diese Angelegenheiten waren zuvor hauptsächlich den Amtsgerichten (Tribunaux d’instance) zugewiesen. Artikel L. 212-8 des französischen Gerichtsorganisati- onsgesetzes bestimmt, dass die chambres de proximité zusätzliche materielle Zuständigkeiten durch einen ge- meinsamen Beschluss des ersten Präsidenten des Be- rufungsgerichts und des Staatsanwalts an sich ziehen können. Ein solcher Beschluss muss im Amtsblatt und auf der Website der französischen Justiz (www.justice.fr) veröffentlicht werden. So wurde beispielsweise durch zwei Beschlüsse vom 16. Januar 2020 die Zuständigkeit des „Tribunal judiciaire“ von Straßburg für Erbschaftsannahmen, für Erbverzichte und für die Hinterlegung eigenhändiger Testamente auf die „Chambres de proximité“ von Illkirch-Graffenstaden, Haguenau und Schiltigheim übertragen. c) Besondere Zuständigkeiten bestimmter anderer Ge- richte Bei Bestehen mehrerer tribunaux judiciaires innerhalb ein und desselben Départements oder in zwei verschie- denen Départements, jedoch in gewisser geographi- scher Nähe zueinander, räumt Artikel L. 211-9-6 des Ge- richtsorganisationsgesetzes die Möglichkeit ein, einem der Gerichte für bestimmte, durch Dekret festgelegte Angelegenheiten, eine besondere Zuständigkeit zuzu- weisen. Dies gilt insbesondere für folgende Angelegen- heiten: • Klagen im Zusammenhang mit gewerblichen Mietver- trägen • Streitigkeiten, die sich aus der Erfüllung eines Güter- beförderungsvertrages ergeben • Zahlungs-, Garantie- und Haftungsklagen, die im Zu- sammenhang mit einem Immobilienbauvorhaben ste- hen • Klagen im Zusammenhang mit ökologischen Schäden gemäß Artikeln 1246 bis 1252 des französischen Zivil- gesetzbuchs (Code civil) Einerseits ist es von Vorteil, sich an Kammern, die auf be- stimmte Bereiche spezialisiert sind, wenden zu können, andererseits erschwert es die Erstellung einer Klage- schrift, da vorab erst systematisch zu prüfen ist, ob eine besondere Spezialisierung existiert. Prozessrecht 13