Urlaubsanspruch und Krankheit: Anpassung des französischen Rechts an das Europäische Recht
Am 22. April 2024 hat ein neues Gesetz in Frankreich die Bestimmungen des Arbeitsgesetzbuchs zum Urlaubsanspruch, der während der Arbeitsunfähigkeit erworben wird, geändert. Ziel des Gesetzes war eine Anpassung an das europäische Recht (Gesetz Nr. 2024-364 vom 22. April 2024).
Die Kehrtwende in der Rechtsprechung des französischen Kassationsgerichts
Bislang war die Rechtslage nach dem frz. Arbeitsgesetzbuch so, dass während Fehlzeiten aufgrund einer Arbeitsunfähigkeit wegen nicht berufsbedingter Krankheit bzw. wegen eines nicht arbeitsbedingten Unfalls keine neuen Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers entstanden. Das Gleiche galt für derartige Fehlzeiten aufgrund berufsbedingter Krankheit oder arbeitsbedingten Unfalls, die 1 Jahr überschritten.
In mehreren Urteilen, die am 13. September 2023 ergangen sind, hatte das frz. Kassationsgericht die Bestimmungen des frz. Arbeitsgesetzbuchs aufgrund der Europäischen Rechtsprechung für unanwendbar erklärt: Gemäß der europäischen Rechtslage erwerben nämlich krankgeschriebene Arbeitnehmer während ihrer Arbeitsunfähigkeit weiterhin (neue) Urlaubsansprüche (Revisionsanträge Nrn. 22-17.340 bis 22-17.342 und 22-17.638).
In der Praxis haben zahlreiche Arbeitnehmer infolge dieser Kehrtwende der Rechtsprechung nicht lange gewartet und die ersten Anträge auf Berichtigung ihrer Urlaubsansprüche gestellt, unter Berufung auf die Rechtsprechung des frz. Kassationsgerichts und auf die von diesem angewandte europäische Rechtsprechung.
Das Eingreifen des französischen Gesetzgebers war nunmehr unerlässlich, um eine gesetzgeberische Antwort auf die Urteile des frz. Kassationsgerichts zu geben. Dies ist mit dem Gesetz vom 22. April 2024 geschehen.
Die neuen Vorschriften zum Erwerb und der Übertragung von bezahltem Urlaub während der Krankschreibung
Jedwede Krankschreibung führt zu einem Anspruch auf bezahlten Urlaub
Das neue Gesetz vom 22. April 2024 regelt, dass ein krankgeschriebener Arbeitnehmer auch während der Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Urlaub (Urlaubstage) erwirbt, unabhängig davon, was der Grund für die Arbeitsunfähigkeit ist und wie lange diese andauert.
Der Erwerb von Urlaubsansprüchen während der Fehlzeiten aufgrund einer nicht berufsbedingten Krankheit bzw. eines nicht berufsbedingten Unfalls beträgt 2 Werktage Urlaub pro Monat und ist auf 24 Werktage Urlaub pro Jahr begrenzt.
Für Arbeitnehmer, die aufgrund eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit in Frankreich krankgeschrieben sind, gelten hingegen die allgemeinen Vorschriften: Sie erwerben 2,5 Werktage Urlaub pro Monat, d. h. 5 Wochen Urlaub pro Jahr.
Neue Informationspflichten des Arbeitgebers bei Wiederaufnahme der Arbeit
Das Gesetz führt auch die Pflicht des Arbeitgebers ein, den Arbeitnehmer, der seine Arbeit nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit wieder aufnimmt, innerhalb eines Monats nach Wiederaufnahme der Arbeit über verschiedene Punkte zu informieren, nämlich:
- Anzahl der Urlaubstage, die dem Arbeitnehmer aktuell zustehen sowie über,
- die Frist, innerhalb deren diese Urlaubstage zu nehmen sind, ehe sie verfallen.
Ein Arbeitnehmer, der aufgrund von Krankheit oder Unfall (Ursache jeweils: berufsbedingt oder nicht) nicht in der Lage ist, seinen gesamten erworbenen Urlaub oder einen Teil davon während des gesetzlichen Zeitraums der Inanspruchnahme des Urlaubs zu nehmen, kann seinen Urlaub innerhalb eines Übertragungszeitraums von 15 Monaten übertragen. Ein Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung kann auch einen längeren Übertragungszeitraum bestimmen.
Der Übertragungszeitraum beginnt an dem Tag, an dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nach dessen Rückkehr über den bestehenden Urlaubsanspruch informiert. Bei Arbeitnehmern, deren Arbeitsvertrag seit mindestens einem Jahr ausgesetzt ist, beginnt der Übertragungszeitraum mit dem Ende des Referenzzeitraums, in dem der bezahlte Urlaub erworben wurde.
Rückwirkung des Gesetzes und Klagefrist
Diese neuen gesetzlichen Bestimmungen zum Erwerb und zur Übertragung von Urlaubsansprüchen in Frankreich gelten rückwirkend für den Zeitraum vom 1. Dezember 2009 bis zum 24. April 2024 (= Tag des Inkrafttretens des Gesetzes – vorbehaltlich bestehender rechtskräftiger Urteile in geführten Rechtsstreiten). Eine rückwirkende Anwendung wurde allerdings nicht vorgesehen bezüglich der Abschaffung der Einjahresgrenze (für den Erwerb von Urlaub während einer Fehlzeit aufgrund Arbeitsunfalls oder aufgrund einer Berufskrankheit).
Schließlich gilt für neue Klagen bezüglich Ansprüchen auf Urlaubstage aus Fehlzeiten vor dem 24. April 2024 eine Ausschlussfrist von zwei Jahren ab dem Inkrafttreten des Gesetzes. Das neue Gesetz gilt für alle Arbeitnehmer, deren Arbeitsverträge am Tag des Inkrafttretens des Gesetzes wirksam bzw. in Kraft sind. Somit können solche Klagen bis zum 24. April 2026 erhoben werden. Für Arbeitnehmer, deren Arbeitsvertrag schon beendet wurde, gilt nach der Auffassung der Rechtslehre und auch nach unserem Dafürhalten die dreijährige Verjährungsfrist.
Obwohl dieses Gesetz erforderlich war, um das französische Recht mit dem europäischen Recht in Einklang zu bringen, werden diese neuen Regeln wohl auch dazu führen, dass die Verwaltung der Urlaubsansprüche in Frankreich dadurch nicht einfacher wird.
Unser Arbeitsrechtsteam steht Ihnen bei Fragen zu diesem Thema gerne zur Verfügung.
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