Gesellschafterbeschluss in Frankreich: Was bedeutet das Erfordernis der „Einstimmigkeit“?
Article – Cass. Civ. 3ème, 5 janvier 2022, n° 20-17.428
Bei Gesellschafterbeschlüssen in Frankreich gilt, gemäß Artikel 1852 des französischen Zivilgesetzbuchs (Code civil), dass diese einstimmig gefasst werden müssen, es sei denn, das Gesetz oder die Satzung (Gesellschaftsvertrag) bestimmt etwas anderes.
Dabei stellt sich die Frage, was genau „Einstimmigkeit“ bedeutet:
Handelt es sich um das Votum der Gesamtheit aller Anteile an der Gesellschaft, was bedeuten würde, dass alle Gesellschafter bzw. Stimmrechtsinhaber anwesend oder vertreten sein müssten, damit die Versammlung überhaupt wirksam einen Beschluss fassen kann?
Oder bezieht sich diese „Einstimmigkeit“ nur auf die anwesenden bzw. vor Ort wirksam vertretenen Gesellschafter, unabhängig davon, wie viele Anteile sie gemeinsam halten?
In einem Urteil Nr. 20-17.428 vom 5. Januar 2022 hat der französische Kassationsgerichtshof diese Frage nun wie folgt abschließend geklärt:
Die erforderliche Mehrheit (bei geforderter „Einstimmigkeit“) beträgt 100 % der Stimmrechte, was bedeutet: Alle existierenden Stimmrechtsinhaber müssen zustimmen.
In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall hatte ein Gesellschafter einer bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft (société civile; Pendant zur deutschen BGB-Gesellschaft) die Feststellung der Nichtigkeit einer Gesellschafterversammlung beantragt. In dieser Gesellschafterversammlung war es unter anderem um die Genehmigung der Abschlüsse verschiedener
Geschäftsjahre und um die Verwendung der Ergebnisse sowie die Vergütung des vorläufigen Verwalters gegangen. Die anwesenden bzw. vertretenen Gesellschafter hielten jedoch gemeinsam nur 75 % der Anteile an der Gesellschaft. Das heißt 25 % der Anteile waren in dieser Gesellschafterversammlung nicht repräsentiert, weder durch eigene physische Teilnahme noch durch wirksame Vertretung.
In einem Urteil vom 5. Januar 2022 hat der frz. Kassationsgerichtshof die zuvor in dieser Angelegenheit ergangenen gerichtlichen Entscheidungen bestätigt, welche die Nichtigkeit der gefassten Gesellschafterbeschlüsse festgestellt hatten.
Dieses Urteil, welches in Bezug auf eine bürgerlich-rechtliche Gesellschaft in Frankreich getroffen wurde, ist auch übertragbar auf andere Gesellschaftsformen in Frankreich, bei denen das Gesetz für bestimmte Entscheidungen Einstimmigkeit verlangt. Dies ist zum Beispiel der Fall für die Entscheidung betreffend die Umwandlung einer französischen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (SARL – société à responsabilité limitée) in eine vereinfachte Aktiengesellschaft (SAS – société par actions simplifiée).
Praxistipp:
Um dennoch Blockadesituationen in der Praxis zu vermeiden, sollte die Satzung einer französischen bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft so ausgestaltet sein, dass die Einstimmigkeit nicht für jeden Beschluss erforderlich ist. Es sollte also vorab überlegt werden, welche Themen unbedingt einer potentiellen Blockade entzogen werden sollen und welche Themen hingegen so wichtig sind, dass man am Einstimmigkeitserfordernis festhält.
Für weitere Informationen stehen Ihnen unsere deutsch-französischen Rechtsanwälte selbstverständlich gerne zur Verfügung.
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