Sicherheiten in der Insolvenz: Rechte besicherter Gläubiger im französischen Insolvenzverfahren
Gläubiger, die ihre Forderungen gegen den Schuldner durch besondere Sicherungsrechte (zum Beispiel Pfandrechte) besichern lassen, erhoffen sich einen besseren Schutz ihrer Rechte, falls der Schuldner insolvent wird und die Forderungen somit nicht mehr zurückzahlen kann.
Doch was sind Sicherheiten im Insolvenzfall wirklich wert? Welche Rechte und Vorteile entstehen für Gläubiger, die Sicherheiten bestellt haben?
Im Rahmen dieses Artikels möchten wir Ihnen einen Überblick über die Rechte besicherter Gläubiger im französischen Insolvenzverfahren geben.
Anwendbares Recht und Geltungsbereich
Befindet sich der Schuldner in Frankreich in einem Insolvenzverfahren, so gelten die entsprechenden Vorschriften des französischen Insolvenzrechts, die im französischen Handelsgesetzbuch (Code de commerce) festgelegt sind.
Dies gilt auch dann, wenn der Gläubiger in Deutschland sitzt oder wenn die Sicherheit nach deutschem Recht bestellt wurde.
Wenn also beispielsweise ein deutscher Verkäufer einen Eigentumsvorbehalt nach deutschem Recht vereinbart hat und der französische Käufer in Insolvenz geht, noch bevor er den Kaufpreis bezahlt hat, dann richten sich die Rechte des deutschen Verkäufers hinsichtlich seines Eigentumsvorbehalts nach dem französischem Insolvenzrecht.
1. Folgen der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Frankreich
Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Frankreich hat folgende Konsequenzen:
- Es gilt der Grundsatz des Zahlungsverbots, das heißt, dass die vor dem Eröffnungsbeschluss entstandenen Forderungen nicht mehr beglichen werden dürfen[1].
- Des Weiteren gilt für die Gläubiger der Grundsatz des individuellen Vollstreckungsverbots. Das bedeutet, dass Gläubiger weder Zahlungen direkt einfordern noch das Vermögen des Schuldners pfänden können.
Von diesen Grundsätzen sind alle Gläubiger betroffen, also auch diejenigen, die ihre Forderungen besichern haben lassen.
Die zu ihren Gunsten bestellte Sicherheit bleibt jedoch bestehen und gewährt den Gläubigern je nach Art des Insolvenzverfahrens in Frankreich unterschiedliche Vorteile.
2. Rechte des besicherten Gläubigers im Rahmen eines Insolvenzverfahrens in Frankreich
Die Rechte von besicherten Gläubigern sind sehr unterschiedlich und hängen davon ab,
- über welche Art der Sicherheit sie verfügen:
- dingliche Sicherheit (Pfandrecht, Eigentumsvorbehalt) oder
- persönliche Sicherheit (Bürgschaft)
- und in welcher Phase des Insolvenzverfahrens sich der Schuldner befindet.
Zu unterscheiden ist zwischen:
- dem Erhaltungs- oder Sanierungsverfahren (procédure de sauvegarde bzw. redressement judiciaire) (a.),
- und dem Liquidationsverfahren (liquidation judiciaire) (b.).
a. Rechte des Gläubigers im Rahmen eines Erhaltungs- oder Sanierungsverfahrens in Frankreich
Sowohl beim Erhaltungs- als auch beim Sanierungsverfahren soll die Tätigkeit des Schuldners aufrechterhalten werden. Ziel ist es, das Unternehmen mithilfe eines Zahlungs- oder Sanierungsplanes zu „retten“.
Daraus folgt, dass Gläubiger mit Sicherungsrechten diese im Rahmen dieser Verfahren grundsätzlich nicht geltend machen können. Ihre Rechte sind in dieser Phase „eingefroren“.
Es gelten allein die vom Insolvenzverwalter im Zahlungs- bzw. Erhaltungsplan festgelegten Zahlungsmodalitäten, wie beispielsweise Stundungen oder Zahlungsaufschübe. Zudem kann der Schuldner die Sicherungsgüter weiterhin verwenden[2].
Befindet sich der Gläubiger allerdings im Besitz der verpfändeten Sache, dann verfügt er über ein Zurückbehaltungsrecht und steht damit deutlich besser da als andere besicherte Gläubiger, die sich nicht im Besitz des Pfandgutes befinden (siehe hierzu Punkt 3).
b. Rechte des Gläubigers im Rahmen eines Liquidationsverfahrens in Frankreich
Die Eröffnung eines Liquidationsverfahrens bedeutet das Ende der Geschäftstätigkeit des Schuldners.
Mit der Eröffnung dieses Verfahrens werden die Sicherungsrechte der Gläubiger, die im Rahmen eines Sanierungs- bzw. Erhaltungsverfahrens zeitweise aufgehoben waren, wieder effektiv. Sie können aktiv geltend gemacht werden, indem die Verwertung des Pfandgutes bei Gericht beantragt wird.
Gläubiger mit einer dinglichen Sicherheit stehen allerdings in Konkurrenz zu bevorrechtigten Gläubigern. Letztere verfügen aufgrund einer gesetzlichen Regelung über ein Vorrecht und werden somit vorrangig bedient, auch wenn ihre Forderung erst später entstanden ist[3].
In Frankreich wurden in den letzten Jahren immer neue Kategorien bevorrechtigter Gläubiger eingeführt. Dadurch haben klassische dingliche Sicherheiten, wie zum Beispiel Warenverpfändungen, an Attraktivität verloren[4].
Wenn Gläubigern durch die zu ihren Gunsten bestellte Sicherheit ein Zurückbehaltungsrecht gewährt wird, dann stehen sie nicht in Konkurrenz zu den gesetzlich bevorrechtigten Gläubigern.
Dies gilt im Übrigen auch für die Rechte des Gläubigers aus einem Eigentumsvorbehalt.
3. Zurückbehaltungsrechte des besicherten Gläubigers nach französischem Recht
a. Gläubiger, die im Besitz der Pfandsache sind (tatsächliches Zurückbehaltungsrecht)
Wenn der Gläubiger im Besitz einer Sache ist, die ihm der Schuldner als Pfand übergeben hat, dann verfügt er über ein tatsächliches Zurückbehaltungsrecht[5]. Dies ist im Rahmen eines Insolvenzverfahrens von großem Vorteil.
Wirkungen des tatsächlichen Zurückbehaltungsrechts im Insolvenzverfahren in Frankreich
Der Besitz einer Sache verschafft dem Gläubiger eine sehr vorteilhafte Stellung im Insolvenzverfahren, und zwar sowohl im Erhaltungs- und Sanierungsverfahren als auch im Liquidationsverfahren.
Verweigerungsrecht:
Der Gläubiger kann die Herausgabe der Sache so lange verweigern, bis seine Forderungen gegenüber dem insolventen Schuldner vollständig beglichen sind.
Dieses Recht kann sogar gegenüber Dritten geltend gemacht werden. So kann der Gläubiger die Herausgabe einer Sache an den Käufer dieser Sache wirksam verweigern.
Vorrangige Befriedigung:
Veranlasst der Insolvenzverwalter oder Liquidator die Zahlung der Forderung, steht der Gläubiger in keiner Konkurrenz zu anderen, eventuell bevorrechtigten Gläubigern. Er wird demnach vollständig und vorrangig befriedigt.
Gleiches gilt im Fall eines Verkaufs durch den Liquidator. Der Gläubiger wird vorrangig aus dem Verkaufserlös befriedigt.
Wenn der Liquidator den Verkauf nicht selbst veranlasst, kann der Gläubiger die Verwertung des Pfandrechts beim Insolvenzrichter beantragen und sich aus dem Verkaufserlös befriedigen. Hierfür muss er nicht abwarten, bis seine Forderung zur Tabelle zugelassen wird.
Voraussetzung für die Geltendmachung dieser Rechte ist, dass der Gläubiger rechtmäßig und bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Besitz der Sache war.
b. Gläubiger, die nicht im Besitz der Pfandsache sind (fiktives Zurückbehaltungsrecht)
Neben dem tatsächlichen Zurückbehaltungsrecht, bei dem sich der Pfandgläubiger im Besitz der Sache befindet, gibt es auch ein „fiktives“ Zurückbehaltungsrecht.
Das bedeutet, dass dem Gläubiger per Gesetz ein Zurückbehaltungsrecht zugesprochen wird, auch wenn er nicht im Besitz der Sache ist[6].
Dies ist bei den folgenden Sicherheiten der Fall:
- Besitzloses Pfandrecht gemäß Artikel 2286 Absatz 4 des französischen Zivilgesetzbuches (gage sans dépossession).
- Verpfändung des Aktionärskontos gemäß Artikel L. 211-20 des französischen Währungs- und Finanzgesetzbuches (nantissement de compte-titres).
- Verpfändung von Forderungen gemäß Artikel 2363 des französischen Zivilgesetzbuches (nantissement de créances).
Die Verpfändung des Geschäftsbetriebes (nantissement de fonds de commerce) begründet kein fiktives Zurückbehaltungsrecht.
Wirkungen des fiktiven Zurückbehaltungsrechts im Liquidationsverfahren in Frankreich
Der Vorteil des fiktiven Zurückbehaltungsrechts zeigt sich erst beim Verkauf der Sache. Das Recht des Gläubigers wird dann auf den Verkaufspreis übertragen, das heißt, der Verkaufserlös wird dem Gläubiger vorrangig zugewiesen. Er steht hierbei in keiner Konkurrenz zu anderen Gläubigern, auch nicht zu bevorrechtigten[7].
Während der Beobachtungsphase oder im Rahmen eines Erhaltungs- oder Sanierungsverfahrens kann sich der Gläubiger allerdings nicht auf sein fiktives Zurückbehaltungsrecht berufen[8].
Praxistipp: In Frankreich stellen Pfandrechte mit Übertragung der Pfandsache an den Gläubiger sehr wirksame Sicherheiten bei Insolvenz des Schuldners dar. Es sollte also immer geprüft werden, ob eine solche Sicherheit praktikabel ist. Wenn dies nicht möglich ist, sollte in jedem Fall eine Sicherheit bestellt werden, die dem Gläubiger ein Zurückbehaltungsrecht gewährt.
4. Besondere Bedeutung der Forderungsanmeldung für besicherte Gläubiger
Sobald in Frankreich das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Hauptschuldners eröffnet wird, muss der Gläubiger seine Forderung ordnungsgemäß zur Insolvenztabelle anmelden. Hierfür gelten strenge Fristen und Formvorschriften.
Die Forderungsanmeldung ist auch im Hinblick auf die Sicherheiten sehr wichtig.
So hat die französische Rechtsprechung entschieden, dass eine nicht wirksam angemeldete Forderung erlischt und damit auch die für diese Forderung bestellte Sicherheit[9].
Wenn beispielsweise eine Bürgschaft bestellt wurde, der Gläubiger es allerdings versäumt hat, seine Forderung im Insolvenzverfahren anzumelden, dann kann er auch nicht mehr gegen den Bürgen auf Zahlung klagen.
Praxistipp: Tritt beim Hauptschuldner ein Insolvenzrisiko auf, weil er Zahlungsschwierigkeiten hat, sollte der Gläubiger rasch handeln und prüfen, welche Maßnahmen er gegen den Bürgen ergreifen kann.
5. Risiko bei Sicherheiten, die erst kurz vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Frankreich bestellt wurden
Die Verdachtsperiode bezeichnet den Zeitraum unmittelbar vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Sie beginnt mit dem Zeitpunkt, an dem der Schuldner seine Zahlungen einstellt (cessation des paiements)[10], und endet mit dem Datum des Eröffnungsbeschlusses.
Sicherheiten, die in diesem Zeitraum bestellt werden, können für nichtig erklärt werden.
Das bedeutet, dass der besicherte Gläubiger den gleichen Rang wie die anderen Gläubiger erhält und nur nachrangig befriedigt wird.
Praxistipp: Wenn der Schuldner zum Zeitpunkt der Bestellung der Sicherheit bereits ernsthafte Zahlungsschwierigkeiten hat, ist der Gläubiger einem besonderen Risiko ausgesetzt. Er kann sich nicht auf die Wirksamkeit der Garantie verlassen und sollte nach Alternativen suchen, beispielsweise nach konkreten Zahlungsvereinbarungen.
Fazit: Gläubigerschutz bei Insolvenz in Frankreich
Haben Sie Fragen zu den Rechten besicherter Gläubiger im französischen Insolvenzverfahren oder zur Durchsetzung von Sicherheiten wie Pfandrechten oder Eigentumsvorbehalt nach französischem Recht?
Unser Team im französischen Insolvenzrecht unterstützt Sie gerne bei grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren, der Forderungsanmeldung in Frankreich oder beim effektiven Gläubigerschutz bei Insolvenz in Frankreich: welcome@rechtsanwalt.fr
Kontakt aufnehmen PDF öffnen DruckenHäufig gestellte Fragen - Rechte besicherter Gläubiger im französischen Insolvenzverfahren
Warum ist die Forderungsanmeldung im Hinblick auf die Sicherheiten in Frankreich so wichtig?
Ohne fristgerechte Anmeldung der Forderung erlischt die für diese Forderung bestellte Sicherheit des Gläubigers.
Welche Risiken bestehen bei Sicherheiten, die kurz vor der Insolvenz bestellt werden?
Solche Sicherheiten können während der Verdachtsperiode für unwirksam erklärt werden, wodurch der Gläubiger seinen bevorzugten Rang verliert und den gleichen Rang wie die anderen Gläubiger erhält. Weiterführende Informationen zur Verdachtsperiode finden Sie in folgendem Artikel.
Welche Sicherheiten gelten im französischen Insolvenzrecht als besonders effektiv?
In Frankreich stellen Pfandrechte mit Übertragung der Pfandsache an den Gläubiger sehr wirksame Sicherheiten bei Insolvenz des Schuldners dar. Es sollte also immer geprüft werden, ob eine solche Sicherheit praktikabel ist. Wenn dies nicht möglich ist, sollte in jedem Fall eine Sicherheit bestellt werden, die dem Gläubiger ein Zurückbehaltungsrecht gewährt.
Was ist der Unterschied zwischen tatsächlichem und fiktivem Zurückbehaltungsrecht?
Der Unterschied zwischen tatsächlichem und fiktivem Zurückbehaltungsrecht besteht darin,
- dass beim tatsächlichen Zurückbehaltungsrecht der Gläubiger im Besitz der Pfandsache ist,
- während ihm beim fiktiven Zurückbehaltungsrecht per Gesetz ein Zurückbehaltungsrecht zusteht, auch wenn er die Sache nicht besitzt.
Was passiert mit dem Eigentumsvorbehalt, wenn der Schuldner in Frankreich insolvent wird?
Der Eigentumsvorbehalt bleibt im französischen Insolvenzverfahren wirksam.
Der Gläubiger steht – wie bei einem Zurückbehaltungsrecht – nicht in Konkurrenz zu den gesetzlich bevorrechtigten Gläubigern.
[1] Es bestehen Ausnahmen zu diesem Grundsatz, und gewisse Zahlungen können vom Richter genehmigt werden.
[2] Eine Ausnahme besteht hinsichtlich Eigentumsvorbehaltsware. Die Herausgabe kann vom Gläubiger verlangt werden, wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind. Siehe hierzu unseren Artikel: „Wirksamkeit des Eigentumsvorbehalts im Insolvenzverfahren des Schuldners in Frankreich“
[3] Ein Zahlungsprivileg steht beispielsweise Gläubigern von folgenden Forderungen zu: Lohnforderungen, Zahlungsforderungen von Landwirten, Forderungen von Gläubigern, die im Rahmen eines Vergleichsverfahrens entstanden sind. Auch Gerichtskosten, die nach Eröffnungsbeschluss entstanden sind, werden vorrangig beglichen.
[4] Diese Sicherheit wurde mittlerweile gänzlich abgeschafft.
[5] Artikel 2286 Absatz 3 des französischen Zivilgesetzbuchs Code civil.
[6] Gemäß Artikel 2286 Absatz 4 des frz. Zivilgesetzbuchs gilt dies für Pfandgläubiger, bei denen das Pfandrecht besitzlos, also ohne Übertragung der Pfandsache an den Gläubiger, bestellt wurde (gage sans dépossession).
[7] Artikel L. 642-20-1 des französischen Handelsgesetzbuchs.
[8] Artikel L. 622-7 des französischen Handelsgesetzbuchs.
[9] Urteil des französischen Kassationsgerichtshofes vom 22.01.2020, Nr. 18-19.526.
[10] Dieser Zeitpunkt wird vom Richter festgestellt und kann bis zu 18 Monate vor dem Eröffnungsbeschluss liegen.