Aktuelles zum Insolvenzrecht: Staatshaftung aufgrund gewährter Hilfen?
In einer Angelegenheit aus dem Jahr 2001 hat der Conseil d'Etat (Oberstes französisches Verwaltungsgericht) ein Urteil gefällt, das im Zusammenhang mit der aktuellen Wirtschaftskrise von besonderem Interesse ist. Der Conseil d'Etat hatte über die Haftung des Staates für dessen Unterstützung eines insolventen Unternehmens in Frankreich zu urteilen (CE, 27. November 2020, Nr. 417165, Sté AOM Air Liberté).
2001 befanden sich mehrere Fluggesellschaften der Swissair-Gruppe in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Es wurde ein Käufer gefunden, dem die Swissair-Gruppe ihre Unterstützung zusagte, um die Restrukturierung und die Fortführung der übernommenen Tätigkeit zu gewährleisten.
Nach dem Ausfall der Swissair-Gruppe beantragte der Käufer staatliche Hilfen, um die geplante Umstrukturierung der Tätigkeit durchführen zu können.
Auf seinen Antrag hin gewährte ihm der Staat ein erstes kurzzeitiges Darlehen von mehr als 16 Mio. EUR, das im folgenden Monat auf mehr als 30 Mio. EUR erhöht wurde. Dieses wurde in der Folge mehrfach verlängert. Der Käufer nahm darüber hinaus verschiedene Zahlungsaufschübe für Steuer- und Sozialversicherungsverbindlichkeiten in Anspruch.
Trotz der staatlichen Beihilfen verlor der Käufer seine Betriebsgenehmigung als Luftfahrtunternehmen und 2003 wurde ein insolvenzrechtliches Liquidationsverfahren über sein Unternehmen eröffnet.
Vor diesem Hintergrund reichten die Insolvenzverwalter des Käufers eine Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht ein, um die Verurteilung des französischen Staats zur Wiedergutmachung des von den Gläubigern erlittenen Schadens zu erwirken. Sie begründeten ihre Klage damit, dass die gewährten Beihilfen dazu beigetragen hätten, die ohnehin aussichtslose wirtschaftliche Situation des Unternehmens zu verschlechtern und die Passiva zu erhöhen.
Nach französischem Recht (Artikel L. 650-1 des frz. Handelsgesetzbuchs) haften Dritte, die eine insolvente Gesellschaft finanziell unterstützen, wegen solchen Beihilfen grundsätzlich nicht (Immunität des Kreditgebers). Unterstützende Dritte können jedoch dann zur Haftung gezogen werden, wenn ein Betrug oder ein Eingriff in die Geschäftsführung der Schuldnergesellschaft vorliegt oder wenn die als Gegenleistung für die Beihilfe eingeräumten Sicherheiten in keinem angemessenen Verhältnis zur Situation der Schuldnerin stehen.
In erster Instanz vor dem Verwaltungsgericht MELUN und in der Berufungsinstanz vor dem Berufungsgericht PARIS wurde der von den Insolvenzverwaltern geltend gemachte Schadensersatzanspruch abgewiesen. Die Richter lehnten den Grundsatz der Haftung wegen missbräuchlicher Unterstützung in diesem Zusammenhang mit der Begründung ab, dass die in Artikel L. 650-1 des französischen Handelsgesetzbuchs bestimmte Aufhebung der Immunität des Kreditgebers in Insolvenzverfahren den Nachweis voraussetzt, dass die insolvente Gesellschaft nicht in der Lage war, die Beihilfe zu verweigern, insbesondere aufgrund einer gegen sie ausgeübten Zwangsmaßnahme, einer arglistigen Täuschung oder eines groben Eingriffs in ihre Geschäftsführung.
Der Conseil d'Etat war der Ansicht, dass diese Beschränkung der Haftung des Staates nur bei spezifischem Verschulden einen Rechtsirrtum darstellt und hob das Urteil des Berufungsgerichts Paris auf, indem er folgende Grundsätze aufstellte:
- Nach französischem Recht können sich Behörden an der Sanierung von Unternehmen beteiligen, sofern sie sich wie ein „privater Wirtschaftsakteur in derselben Situation" gemäß Artikel L. 626-6 des französischen Handelsgesetzbuchs verhalten.
- Die in Artikel L. 650-1 des französischen Handelsgesetzbuchs vorgesehene Immunität ist auf staatliche Hilfen nicht anwendbar.
- Der Staat kann in die Haftung genommen werden, wenn ein unzweifelhaft bestehender Schaden, ein direkter Kausalzusammenhang und ein einfaches Verschulden des Staates vorliegen.
Laut dem Conseil d'Etat stellt die Gewährung einer staatlichen Hilfe in den folgenden Fällen ein Verschulden dar:
- Die Hilfe wurde unter Verstoß gegen die geltenden Rechtstexte gewährt oder
- zum Zeitpunkt ihrer Gewährung war eindeutig, dass sie nicht geeignet ist, ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel zu erreichen, oder dass ihre Höhe in keinem Verhältnis zu diesem Ziel steht.
Es wird in den kommenden Monaten interessant sein zu beobachten, ob der Kontext der aktuellen globalen Gesundheits- und Wirtschaftskrise Anlass zu Rechtsstreitigkeiten geben wird, die auf der Grundlage dieser wichtigen Entscheidung geführt werden.
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- Schließung eines Unternehmens in Frankreich - Mit oder ohne Insolvenz?
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Für weitere Informationen stehen Ihnen unsere deutsch-französischen Rechtsanwälte selbstverständlich gerne zur Verfügung.
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