Das Anwaltsgeheimnis des Anwalts in Frankreich
1. Wozu dient die anwaltliche Vertraulichkeit (Berufsgeheimnis) (secret professionnel)?
Die anwaltliche Vertraulichkeit (Anwaltsgeheimnis; anwaltliche Schweigepflicht) wird in Frankreich deutlich strenger gehandhabt als dies in Deutschland der Fall ist. Sie stellt sowohl ein Recht als auch eine Pflicht des Anwalts in Frankreich dar. Der Hauptzweck der anwaltlichen Schweigepflicht besteht darin, das öffentliche Interesse an einer effektiven Berufsausübung des Anwalts zu schützen. Das Vertrauen des Mandanten in seinen Rechtsanwalt als Berater und Verteidiger soll so gestärkt werden. Die sprachlich enge Verknüpfung der Worte Vertrauen und Vertraulichkeit ist somit kein Zufall. Der Mandant kann sich damit sicher sein, dass alles, was er
dem Anwalt in dessen beruflicher Eigenschaft anvertraut, von Letzterem nicht an Dritte weitergegeben wird, insbesondere nicht an den Staat zu einer eventuellen Strafverfolgung.
2. Wem gegenüber ist der Anwalt an die anwaltliche Vertraulichkeit gebunden und welche anderen Personen unterliegen ihr auch?
Ein Anwalt hat ein Schweigerecht gegenüber jedermann, so dass sich der Anwalt stets darauf berufen kann, um sein Schweigen zu rechtfertigen. Dabei ist es unerheblich, ob der Dritte, demgegenüber der Anwalt zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, seinerseits bereits (von Berufs wegen) zur Verschwiegenheit verpflichtet ist. Die anwaltliche Schweigepflicht besteht somit auch gegenüber Kollegen der eigenen Berufsgruppe, also gegenüber anderen Anwälten. In Deutschland ist die Verpflichtung zur Verschwiegenheit jedoch hinsichtlich der beruflichen Zusammenarbeit mit anderen Anwälten erheblich eingeschränkt. In Frankreich wird das Berufsgeheimnis in diesem Punkt deutlich stärker gewahrt, da selbst im Falle der internen Zusammenarbeit zwischen Rechtsanwälten vertrauliche Mandanteninformationen nicht ungefiltert weitergegeben werden dürfen.
Außerdem ist auch das fachliche Personal des Anwalts durch Unterzeichnung einer Verschwiegenheitserklärung an die Schweigepflicht gebunden.
3. Welchen Umfang hat das Berufsgeheimnis des Anwalts?
Da die anwaltliche Schweigepflicht dem allgemeinen Interesse dient, muss der Anwalt sie gegenüber jedermann beachten. Sie gilt auch zeitlich unbegrenzt. Auch bei polizeilichen oder steuerlichen Untersuchungen muss das anwaltliche Berufsgeheimnis gewahrt bleiben und vertrauliche Informationen betreffend den Mandanten vor Kenntnisnahme durch Dritte sind zu schützen.
Die Rolle des Anwalts besteht darin, seinen Mandanten zu beraten und erfolgreich zu verteidigen. Einerseits gilt seine Schweigepflicht uneingeschränkt. Andererseits liegt es am Rechtsanwalt, die Interessen seines Mandanten bestmöglich zu vertreten; dazu muss er freilich (z. B. in einem Gerichtsverfahren) auch Informationen preisgeben. In diesem Kontext entscheidet er, welche Informationen er vor Gericht zur Verteidigung des Mandanten preisgibt und welche hingegen absoluter Geheimhaltung bedürfen.
Das Berufsgeheimnis des Anwalts bleibt auch nach dem Versterben des Mandanten bestehen.
4. Welche Informationen (Daten) sind vom anwaltlichen Berufsgeheimnis in Frankreich betroffen?
Informationen fallen dann unter den Schutz der anwaltlichen Schweigepflicht, wenn sich der Mandant an seinen Rechtsanwalt in dessen beruflicher Eigenschaft gewandt hat. Dabei spielt es im Gegensatz zum deutschen Recht in Frankreich keine Rolle, ob die Information bereits zuvor einer breiten Öffentlichkeit bekannt gewesen ist oder nicht: die anwaltliche Schweigepflicht besteht dennoch in vollem Umfang.
Ein weiterer besonders markanter Unterschied zum deutschen Recht besteht darin, dass durch ein Gesetz vom 1. April 1997 auch der Briefwechsel in jedweder Form zwischen gegnerischen Anwälten von der anwaltlichen Schweigepflicht betroffen ist. Diese Schweigepflicht über Korrespondenz zwischen Anwälten ist in Frankreich so stark ausgestaltet, dass sie sogar gegenüber dem/ den betroffenen Mandanten gilt. Dies bedeutet zum Beispiel, dass der Anwalt seinem Mandanten in der Regel keine Kopie seiner Anwaltsschreiben, die er an den Gegenanwalt gerichtet hat, zur Verfügung stellen darf. Über den grundsätzlichen Inhalt solcher Schreiben darf der Anwalt seinen Mandanten freilich schon informieren, in vielen Fällen muss er dies auch, da er im Rahmen des Mandatsverhältnisses auch eine Informationspflicht gegenüber seinem eigenen Mandanten hat.
5. Kann die anwaltliche Schweigepflicht aufgehoben werden?
In Frankreich kann der Anwalt, im Gegensatz zum deutschen Recht, nicht durch eine Einwilligung seines Mandanten von der Schweigepflicht entbunden werden. Ferner ist es so, dass ein Anwalt in Frankreich zum Beispiel ein Schreiben, das ihm der Gegenanwalt geschickt hat, nicht vor Gericht gegen die Gegenpartei verwenden darf. Um in Frankreich dennoch eine Korrespondenz (z. B. Brief von Anwalt zu Anwalt) in den Prozess einbeziehen zu können, muss diese Korrespondenz ausdrücklich als „offiziell“ (deutlich erkennbarer Schriftzug „officielle“) gekennzeichnet sein. Sollte eine solche Kennzeichnung nicht vorliegen, ist das jeweilige
Schreiben unter Anwälten als Beweis unzulässig und obliegt der Geheimhaltung durch den Gegenanwalt, der der Empfänger des Anwaltsschreibens ist.
Somit entscheiden in Frankreich die Anwälte, als Absender ihrer eigenen Schreiben an die Gegenanwälte, stets bei jedem Schreiben gesondert, ob die in dem Schreiben enthaltenen Informationen in das Gerichtsverfahren eingeführt werden sollen oder nicht.
In Deutschland hingegen wird die Schweigepflicht aufgehoben, wenn die Berufsordnung oder andere Rechtsvorschriften dies zulassen oder Informationen im Rahmen der Durchsetzung oder der Abwehr von Ansprüchen aus dem Mandatsverhältnis (d. h. aus dem Verhältnis zwischen dem Anwalt und seinem Mandanten) offen gelegt werden müssen. Zudem kann der Mandant seinen Rechtsanwalt in Deutschland jederzeit von seiner Schweigepflicht entbinden.
In Frankreich hingegen darf ein Anwalt auch dann, wenn er sich in einem Rechtsstreit mit seinem eigenen Mandanten über das Mandatsverhältnis befindet, das Berufsgeheimnis nicht brechen. Das französische Recht sieht für derartige Fälle jedoch ein spezielles Verfahren vor dem Präsidenten der Anwaltskammer vor.
6. Klagen wegen des Honorars/ der Gebühren des Anwalts in Frankreich
Ein Verfahren vor dem Präsidenten der Anwaltskammer (Bâtonnier), bei welcher der betroffene Anwalt Mitglied ist, steht sowohl Anwälten als auch ihren Mandanten offen, wenn es zu Streitigkeiten hinsichtlich der Honoraransprüche kommt. Die Anrufung des Präsidenten erfolgt per Einschreiben oder per eigenhändiger Zustellung mit Empfangsbestätigung. Eine solche Anrufung besteht aus einem Schreiben mit beigefügten Anlagen (Belegen), in dem der problematische Sachverhalt geschildert wird. In der Folge findet eine Anhörung beider Seiten statt. Als Richter fungiert entweder der Präsident der Anwaltskammer persönlich oder ein Mitglied des Rates der Anwaltskammer. Zu beachten ist, dass die Verhandlung aufgrund des Berufsgeheimnisses, nicht öffentlich stattfindet.
Innerhalb von vier Monaten ab der Anrufung der Anwaltskammer wird eine Entscheidung getroffen, gegen die innerhalb eines Monats Berufung eingelegt werden kann. Falls kein Rechtsmittel gegen die Entscheidung eingelegt wird, ist sie nach dieser Frist rechtskräftig.
7. Verstoß gegen das anwaltliche Berufsgeheimnis in Frankreich (Sanktionen)
Verletzungen des anwaltlichen Berufsgeheimnisses werden sowohl in Deutschland als auch in Frankreich sanktioniert. Ein Unterschied besteht jedoch in der Strenge des Strafmaßes. Während nach deutschem Recht die Verletzung der Verschwiegenheitspflicht mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr und/ oder mit Geldstrafe bedroht ist, erstreckt sich das Strafmaß im französischen Recht auf bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe und eine Geldbuße von bis zu 75.000 Euro.
Ein weiterer Unterschied besteht außerdem darin, dass in Frankreich Verstöße gegen das Berufsgeheimnis von Amts wegen verfolgt werden, das heißt ohne Stellung eines Antrages seitens des Geschädigten auf Verfolgung. In Deutschland hingegen sind solche Verstöße reine Antragsdelikte, das heißt sie werden nur auf Antrag verfolgt bzw. geahndet.