Die französische Kommission für die Prüfung von Geschäftspraktiken (Commission française d’examen des pratiques commerciales) hat zwei Stellungnahmen zu wettbewerbsbeschränkenden Praktiken abgegeben
Am 8. Juli 2021 gab die französische Kommission für die Prüfung von Geschäftspraktiken zwei interessante Stellungnahmen ab: die eine zur Frage von erheblichen Ungleichgewichten in Versicherungsverträgen (Stellungnahme Nr. 21-8, 8. Juli 2021), die andere zu den Zahlungsfristen in Verträgen über den internationalen Warenkauf (Stellungnahme Nr. 21-9, 8. Juli 2021).
1. Erhebliches Ungleichgewicht in Versicherungsverträgen
In diesem Fall wurde die Kommission zur Prüfung von Geschäftspraktiken von einem Kleinstunternehmen, das ein Schnellrestaurant für den Verzehr vor Ort und zum Mitnehmen betreibt, ersucht, eine Stellungnahme zur Rechtskonformität der Praktiken seines Versicherers während der Corona-Pandemie abzugeben, bei dem es eine kombinierte Berufsversicherung abgeschlossen hatte.
Der besagte französische Versicherer hatte seinem Versicherungsnehmer mitgeteilt, dass er eine Vertragsänderung bezüglich der Deckung für Betriebsunterbrechungen beabsichtige. Die Änderung bestand insbesondere darin, diese Deckung bei „Unmöglichkeit des Zugangs zum Betrieb im Fall eines Betriebsverbots durch eine zuständige Behörde oder eine behördliche Entscheidung infolge einer ansteckenden Krankheit, einer Epidemie...“ zu streichen.
Als Reaktion auf die Weigerung des Versicherungsnehmers machte der Versicherer sein Recht auf Vertragsänderung geltend und wies darauf hin, dass der Versicherungsvertrag angesichts dieser Weigerung zum jährlichen Ablaufdatum gekündigt werden würde.
In ihrer Stellungnahme stellt die französische Kommission zur Prüfung von Geschäftspraktiken fest, dass die Auferlegung oder der Versuch der Auferlegung einer Garantieänderung ohne Verhandlungsmöglichkeit und unter Androhung der Vertragskündigung für den Fall der Verweigerung der Annahme der Änderung nach der französischen Rechtsprechung eine “Auferlegung von Verpflichtungen oder den Versuch der Auferlegung von Verpflichtungen für die andere Partei“ im Sinne von Artikel L. 442-1-I-2 des französischen Handelsgesetzbuchs (Code de commerce) darstellt. Außerdem vertritt sie die Meinung, dass der Wegfall einer Garantie, die in der gegenwärtigen Gesundheitskrise von entscheidender Bedeutung ist, ohne gleichzeitige Herabsetzung der Versicherungsprämie zu einem erheblichen Ungleichgewicht zwischen den Rechten und Pflichten der Parteien führen kann.
Schließlich kann diese Praxis auch unter Artikel L. 442-1-I-1° des französischen Handelsgesetzbuchs fallen, dessen Anwendungsbedingungen ratione personae denjenigen der Vorschrift über das erhebliche Ungleichgewicht entspricht. Die Erlangung oder der Versuch der Erlangung der Aufhebung einer Garantie, die in einer Gesundheitskrise von entscheidender Bedeutung ist, ohne jegliche Gegenleistung – nach Kenntnis der Kommission –, würde demnach einen „Vorteil ohne Gegenleistung“ im Sinne dieser Bestimmung darstellen.
2. Zahlungsfristen in Verträgen über den internationalen Warenkauf
Gegenstand der vorliegenden Anfrage ist die Situation eines in der EU nach ausländischem Recht niedergelassenen Unternehmens, das optische Produkte und Sonnenbrillen herstellt und vertreibt und Vertragshändler aus dem Ausland beliefert, von denen einige ihre Tätigkeit in Frankreich ausüben.
Das Unternehmen schließt mit seinen in Europa ansässigen Kunden Verkaufsverträge ab, in denen sich die Vertragshändler zu einer festen Abnahmemenge über einen Zeitraum von 12 Monaten verpflichten.
Als Gegenleistung für diese feste Abnahmeverpflichtung akzeptiert das Unternehmen, dass seine Kunden die Produkte in 12 monatlichen Raten in gleicher Höhe bezahlen, unabhängig von der Menge der in dem betreffenden Monat gelieferten Produkte.
Mit anderen Worten: Es handelt sich um einen Verkauf von Produkten, die in 12 monatlichen Raten in gleicher Höhe bezahlt werden, wobei die Produkte über einen Zeitraum von 12 Monaten nach den Wünschen des Händlers geliefert werden.
Auch wird die Nichteinhaltung dieser Auftragspflicht durch den Kunden vertraglich sanktioniert.
Diese Verträge unterliegen ausländischem Recht und dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf vom 11. April 1980 (CISG). Für Streitigkeiten aus dem Vertragsverhältnis ist die ausländische Gerichtsbarkeit zuständig.
Vor diesem Hintergrund möchte das Unternehmen, entsprechend der bereits mit seinen anderen europäischen Kunden praktizierten Verfahrensweise, diese Art von Verträgen auch seinen in Frankreich ansässigen Kunden anbieten. Weiterhin möchte es sicherstellen, dass die oben genannten Rechnungs- und Zahlungsbedingungen nicht gegen die entsprechenden Bestimmungen des französischen Rechts verstoßen.
Das Unternehmen erinnert daran, dass die französische Kommission zur Prüfung von Geschäftspraktiken in einigen ihrer Stellungnahmen wie folgt befunden hat:
„Verträge über den internationalen Warenkauf, die unter das Wiener Übereinkommen vom 11. April 1980 fallen, unterliegen nicht der in Artikel L. 441-6 I Absatz 9 des frz. Handelsgesetzbuchs [jetzt Artikel L. 441-10 des frz. Handelsgesetzbuchs] vorgesehenen Begrenzung der Zahlungsfristen. Durch die kombinierte Anwendung des Übereinkommens, der allgemeinen Grundsätze, auf denen es beruht, und der Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr dürfen die zwischen den Parteien vereinbarten Zahlungsfristen keinen offensichtlichen Missbrauch im Hinblick auf den Gläubiger bzw. keine eindeutige Abweichung von der ordnungsgemäßen Handelspraxis und den Handelsgepflogenheiten aufweisen, d. h. sie dürfen nicht gegen den Grundsatz des guten Glaubens und der Redlichkeit verstoßen, wobei die Art der Ware zu berücksichtigen ist.“ (Stellungnahme Nr. 16-12 über ein Ersuchen eines Rechtsanwalts um eine Stellungnahme zur Anwendung der gesetzlichen Obergrenze für Zahlungsfristen in einem internationalen Kontext).
Im vorliegenden Fall ist die ersuchende Gesellschaft der Ansicht, dass die von ihr in Frankreich geplante Praxis keinen „offensichtlichen Missbrauch im Hinblick auf den Gläubiger“ darstellt, sofern:
- die Gesellschaft die Gläubigerin ist und
- es sich bei den oben beschriebenen Verträgen um den Standardvertrag für alle europäischen Vertriebshändler handelt.
Demzufolge wurden der französischen Kommission zur Prüfung von Geschäftspraktiken die folgenden Fragen unterbreitet:
- Unterliegt ein internationaler Warenverkauf ausländischen Rechts, der unter das CISG fällt und zwischen einem ausländischen Lieferanten und einem in Frankreich ansässigen Händler abgeschlossen wird, den in Artikel L. 441-10 des frz. Handelsgesetzbuchs vorgesehenen Zahlungsfristen?
- Unterliegt ein internationaler Warenverkauf ausländischen Rechts, der unter das CISG fällt und zwischen einem ausländischen Lieferanten und einem in Frankreich ansässigen Händler abgeschlossen wird, den in Artikel L. 441-9 des frz. Handelsgesetzbuchs vorgesehenen Verpflichtungen in Bezug auf die Rechnungsstellung?
Die französische Kommission zur Prüfung von Geschäftspraktiken hat hierauf wie folgt geantwortet:
- Sie weist zum einen darauf hin, dass ein internationaler Warenverkauf ausländischen Rechts, der unter das CISG fällt und zwischen einem ausländischen Lieferanten und einem in Frankreich ansässigen Händler abgeschlossen wird, nicht den in Artikel L. 441-10 des frz. Handelsgesetzbuchs vorgesehenen Zahlungsfristen unterworfen ist.
Sie weist jedoch auch darauf hin, dass die zwischen den Parteien vereinbarten Zahlungsfristen keinen eindeutigen Missbrauch im Hinblick auf den Gläubiger darstellen dürfen. In Bezug auf den ihr vorgelegten Fall ist die Kommission der Auffassung, dass dies bei den vom Gläubiger festgelegten Ratenzahlungsbedingungen, die für alle mit seinen europäischen Kunden geschlossenen Kaufverträge gelten, nicht der Fall zu sein scheint. - Was die Verpflichtungen in Bezug auf die Rechnungsstellung angeht, so ruft die Kommission in Erinnerung, dass der Verkäufer bei Verträgen über den internationalen Warenverkauf ausländischen Rechts, die unter das CISG fallen und zwischen einem ausländischen Lieferanten und einem in Frankreich ansässigen Händler abgeschlossen werden, immer dann, wenn der Vertrag, das Gewohnheitsrecht oder eine zwingende Rechtsvorschrift dies vorsehen, eine Rechnung erstellen muss (CISG, Art. 30 und 34).
Die Kommission ist der Ansicht, dass Artikel L. 441 9 des frz. Handelsgesetzbuchs als eine solche Rechtsvorschrift zu betrachten ist und dass demzufolge grundsätzlich eine Rechnung ausgestellt werden muss, deren Inhalt hingegen von den Parteien gemäß dem CISG frei bestimmt werden kann.
Für weitere Informationen stehen Ihnen unsere deutsch-französischen Rechtsanwälte selbstverständlich gerne zur Verfügung.
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