Streikrecht in Frankreich – Die Möglichkeit, bestimmten Arbeitnehmern eine Sonderprämie zu zahlen
In einem Urteil des französischen Kassationsgerichts für Arbeitssachen vom 3. April 2024 wurde entschieden, dass ein Arbeitgeber eine Sonderprämie an die nicht streikenden Arbeitnehmer zahlen und diejenigen Arbeitnehmer, die am Streik teilgenommen haben, von dieser Prämie ausschließen darf (Ref. des Urteils: Cass. soc., 03.04.2024, Nr. 22-23.321 bis Nr. 22-23.353).
Dieses Urteil ermöglicht uns, hier die wichtigsten Grundsätze des Streikrechts in Frankreich darzustellen.
Das Streikrecht in Frankreich
Das Streikrecht ist ein von der französischen Verfassung anerkanntes und geschütztes Grundrecht der Beschäftigten.
Da es kein Gesetz gibt, das den Streik definiert, ist die französische Rechtsprechung der Auffassung, dass ein Streik voraussetzt, dass drei kumulative Kriterien erfüllt sind:
- Eine vollständige Arbeitsniederlegung durch den Arbeitnehmer, und zwar auch dann, wenn diese Arbeitsniederlegung sehr kurz ist (zum Beispiel einige Stunden). Hingegen gilt ein Arbeitnehmer, der seine Arbeit, ohne sie niederzulegen, wissentlich fehlerhaft ausführt, nicht als streikender Arbeitnehmer.
- Der Streik ist ein individuelles Recht, das abgestimmt und kollektiv ausgeübt werden muss. Die Streikbewegung muss daher auf der gemeinsamen Absicht beruhen, berufliche Ansprüche zu unterstützen, und mindestens zwei Arbeitnehmer beinhalten – außer der Arbeitnehmer ist der einzige Arbeitnehmer des Unternehmens oder nimmt an einem nationalen Streik teil.
- Gegenstand des Streiks müssen Ansprüche beruflicher Art sein, im Unterschied zu rein politischen Aussagen. Diese Ansprüche müssen dem Arbeitgeber zur Kenntnis gebracht werden.
Die Ausübung des Streikrechts unter Einhaltung der vorstehenden Kriterien führt zur Aussetzung des Arbeitsvertrages. Der streikende Arbeitnehmer genießt dann einen besonderen Schutz und kann nicht für Taten sanktioniert werden, die während des Streiks begangen wurden – es sei denn, es handelt sich um Taten, die ein schweres Verschulden charakterisieren. Wenn die Streikbewegung hingegen nicht die vorstehenden Kriterien einhält, wird der Arbeitsvertrag des Arbeitnehmers nicht ausgesetzt und der Arbeitnehmer kann vom Arbeitgeber aufgrund seiner Teilnahme an dieser Bewegung sanktioniert werden.
Da der Arbeitsvertrag des streikenden Arbeitnehmers ausgesetzt ist, ist der Arbeitnehmer nicht zur Erbringung seiner Arbeitsleistung verpflichtet. Im Gegenzug vergütet der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht. Der streikende Arbeitnehmer darf aber auch keine diskriminierende Maßnahme erleiden, insbesondere nicht in Bezug auf die Vergütung und die Sozialleistungen.
Sonderprämie für nicht streikende Arbeitnehmer
Im vorliegenden Fall handelte es sich tatsächlich um einen Rechtsstreit über die Vergütung. Wie zuvor dargelegt, behält der Arbeitgeber den Lohn des streikenden Arbeitnehmers ein, wobei dies streng im Verhältnis zur Dauer der Arbeitsniederlegung stehen muss. Wenn nur ein Teil der Arbeitnehmer streikt, hat dies hingegen grundsätzlich keine Auswirkung auf die nicht streikenden Arbeitnehmer. Da ihr Arbeitsvertrag nicht ausgesetzt ist, ist der Arbeitgeber weiterhin verpflichtet, ihnen Arbeit zu verschaffen und sie zu vergüten.
In diesem Urteil der Kammer für Arbeitssachen des französischen Kassationsgerichtshofs vom 3. April 2024 hat sich der Arbeitgeber jedoch nicht damit zufriedengegeben, die nicht streikenden Arbeitnehmer weiter zu vergüten, sondern hat einigen nicht streikenden Arbeitnehmern eine Sonderprämie ausgezahlt. Da sich die streikenden Arbeitnehmer der Gesellschaft bei der Ausübung ihres Streikrechts diskriminiert fühlten, riefen sie das zuständige Gericht an.
In dem vorstehend genannten Urteil war das Gericht der Auffassung, dass eine solche Prämie durchaus ausgezahlt werden darf, da die Zahlung dieser außerordentlichen Prämie im vorliegenden Fall nicht für alle nicht streikenden Arbeitnehmer bestimmt war, sondern nur für einige, die die vorübergehende Änderung ihres Arbeitsvertrages aufgrund der Ausübung von Aufgaben, die nicht zu ihren Tätigkeiten gehörten und somit Mehrarbeit darstellten, akzeptiert hatten. Das Verbot der Diskriminierung streikender Arbeitnehmer in Bezug auf die Vergütung und die Sozialleistungen bildet daher nicht notwendigerweise ein Hindernis für die Gewährung einer Sonderprämie an diejenigen Arbeitnehmer, die nicht gestreikt haben und Mehrarbeit leisten mussten bzw. Aufgaben ausüben mussten, die nicht in ihrem Arbeitsvertrag vorgesehen waren. Für das Gericht ist diese Entscheidung des Arbeitgebers nicht diskriminierend, da die Prämie mit Mehrarbeit bzw. mit zusätzlichen Aufgaben zusammenhängt und nicht mit der Tatsache, dass die Arbeitnehmer sich entschieden hatten, nicht zu streiken
Für zusätzliche Informationen und Rückfragen zu diesem Thema steht unsere Kanzlei selbstverständlich gerne zu Ihrer Verfügung.
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