Überblick über die jüngste Rechtsprechung des französischen Kassationsgerichtshofs zu Insolvenzverfahren in Frankreich
1) Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Frankreich hindert die Klage auf Beendigung des Gewerbemietvertrags
In seinem Urteil vom 13. April 2022 verwirft der Kassationsgerichtshof die Argumentation des Berufungsgerichts Bordeaux aus einem Urteil vom 12. Januar 2021. Das Berufungsgericht Bordeaux hatte der Klage auf Beendigung eines gewerblichen Mietvertrags (bail commercial) stattgegeben mit der Begründung, dass die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens es nicht verbiete, sich auf eine zuvor aktivierte Vertragsauflösungsklausel zu berufen, deren Wirksamkeit zum Zeitpunkt der Zahlungsaufforderung, die der Grund für die Vertragsauflösung war, zu beurteilen ist.
In seinem Urteil vom 13. April 2022 weist die 3. Zivilkammer des Kassationsgerichthofs darauf hin, dass es sich aus dem Zusammenspiel der Artikel L. 145-41 und L. 622-21 des französischen Handelsgesetzbuchs ergebe, dass die Klage, die der Vermieter vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über den Mieter erhoben hat, um die Durchsetzbarkeit der im gewerblichen Mietvertrag enthaltenen Vertragsauflösungsklausel wegen Nichtzahlung der vor dem Eröffnungsurteil fälligen Mieten feststellen zu lassen, nach diesem Eröffnungsurteil nicht weiter betrieben werden kann (Urteil vom 13. April 2022, Nr. 21-15.336).
Das französische Kassationsgericht erinnert damit an das Grundprinzip der Einstellung und des Verbots der individuellen Rechtsverfolgung gegen einen Schuldner, der sich in einem Insolvenzverfahren befindet.
2) Unwirksamkeit der außerhalb des Sanierungsplans eingegangenen Absprachen zur Begleichung einer zugelassenen Forderung
In dem zugrundeliegenden Sachverhalt war eine Forderung zu den Passiva der insolventen Schuldnerin zugelassen worden. Die Modalitäten der Begleichung dieser Forderung waren zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner außerhalb des Sanierungsplans vereinbart worden.
Der Sanierungsplan sah die Begleichung der Forderung in Höhe von 40 % im Zeitpunkt der gerichtlichen Validierung des Plans vor und nahm lediglich zur Kenntnis, dass sich die Parteien auf eine Zahlung des Restbetrags (60 %) mit Zinsen von 2 % unter der Bedingung der ordnungsgemäßen Umsetzung des Plans nach 15 Jahren geeinigt hatten.
Da der Restbetrag nicht zum vereinbarten Termin beglichen wurde, verklagte der Gläubiger den Schuldner auf Zahlung des ausstehenden Restbetrags und der vereinbarten Zinsen.
In der Berufungsinstanz gab das Berufungsgericht dem Antrag des Gläubigers statt und verurteilte den Schuldner zur Zahlung des vertraglich vereinbarten Restbetrags (Hauptforderung und Zinsen.
In einem Urteil vom 18. Mai 2022 erklärte die Handelskammer des Kassationsgerichtshofs diese Entscheidung unter Hinweis auf die Artikel L. 621-76 und L. 621-79 des Handelsgesetzbuchs in ihrer vor 2005 geltenden Fassung aber für ungültig.
Der Gerichtshof bestätigt den Grundsatz, nach welchem alle im Rahmen eines Insolvenzverfahrens zugelassenen Forderungen dem Sanierungsplan des Unternehmens unterworfen werden müssen, auch wenn die Modalitäten für ihre Begleichung besonders sind. Folglich können der Gläubiger und der Schuldner nicht rechtsgültig Zinsen vereinbaren, die in der Entscheidung über die Aufnahme der Forderung in der Insolvenztabelle nicht vorgesehen sind (Handelskammer des frz. Kassationsgerichtshof, Urteil vom 18. Mai 2022, Nr. 19-25.796).
3) Sein Geschäft von einem einzigen Kunden abhängig zu machen, stellt keinen Geschäftsführungsfehler dar
Gemäß Artikel L. 651-2 des französischen Handelsgesetzbuchs kann der Geschäftsführer eines Unternehmens, über das ein Gericht ein Insolvenzverfahren eröffnet hat, dazu verurteilt werden, für Verbindlichkeiten des Unternehmens mit seinem Privatvermögen zu haften, wenn er durch Geschäftsführungsfehler zu dieser unzureichenden Vermögenslage beigetragen hat.
In der dem Kassationsgericht vorgelegten Rechtssache hatte das schuldnerische Unternehmen einen einzigen Vertragspartner. Dieser Vertragspartner hatte ihm bestimmte Investitionen auferlegt, um seine Produktionskapazität an die Nachfrage in einer Branche und zu einer Zeit anzupassen, in der der Geschäftsführer des schuldnerischen Unternehmens berechtigterweise an eine Expansion seines Unternehmens glauben konnte. Der Vertragspartner hatte daraufhin die Geschäftsbeziehung auf eigene Initiative abrupt abgebrochen.
In der Berufungsinstanz wurde der Geschäftsführer mit der Begründung verurteilt, dass sein Verhalten mangelnde Wachsamkeit habe erkennen lasse, da er sein Unternehmen auf ein Geschäft einließ, das nur auf einem einzigen Kunden beruhte, ohne eine Möglichkeit zu finden, den Fortbestand dieser Geschäftsbeziehungen zu gewährleisten.
In seinem Urteil vom 13. April 2022 hob das Kassationsgericht die Entscheidung der Berufungsinstanz auf, indem es feststellte, dass mangelnde Sorgfalt, die mit einfacher Fahrlässigkeit gleichzusetzen sei, nicht ausreiche, um einen Geschäftsführungsfehler zu begründen (Handelskammer des frz. Kassationsgerichtshofs, Urteil vom 13. April 2022, Nr. 20-20.137).
Für weitere Informationen stehen Ihnen unsere deutsch-französischen Rechtsanwälte selbstverständlich gerne zur Verfügung.
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