Unlauterer Wettbewerb in Frankreich: Herbeiführung eines wesentlichen Ungleichgewichts
In Frankreich kann die sogenannte Herbeiführung eines wesentlichen Ungleichgewichts („déséquilibre significatif“) durch ein Unternehmen wettbewerbsrechtlich sanktioniert werden.
1. Was ist in Frankreich unter „Herbeiführung eines wesentlichen Ungleichgewichts“ zu verstehen?
Das Verbot, ein wesentliches Ungleichgewicht herbeizuführen, bezieht sich auf Fälle, in denen eine Partei (vor der Verordnung vom 24. April 2019 betraf diese Bestimmung nur Kaufleute als Geschäftspartner, nun ist der Anwendungsbereich deutlich erweitert) seine Verhandlungsmacht ausnutzt, um seinem Verhandlungspartner Verpflichtungen aufzuzwingen, die eindeutig zu seinen eigenen Aufgaben gehören und lediglich zu seinem Vorteil sind und die darüber hinaus meist zu einem viel zu hohen Preis vereinbart werden.
In diesem Fall spricht man in Frankreich von einem „Mechanismus der missbräuchlichen Klauseln zwischen Partnern“, worunter auch missbräuchliche Praktiken und Verhaltensweisen fallen.
Es handelt sich hierbei teilweise um Sachverhalte, die in Deutschland unter die gesetzlichen Regelungen zu Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der §§ 305-310 BGB fallen würden.
2. Beispiele für die Herbeiführung eines wesentlichen Ungleichgewichts
In den meisten Fällen sind größere Vertriebsstrukturen in Frankreich von diesen wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen betroffen.
Oftmals handelt es sich um Einkaufszentralen, die Muster(rahmen)verträge verwenden, die sämtlichen Lieferanten ohne Unterscheidung angeboten werden und in denen der Händler für sich selbst sehr vorteilhafte Bedingungen festlegt, aber keine Vorteile für den Lieferanten vorsieht.
Andere Verträge außerhalb des Vertriebsbereichs können ebenfalls von diesem wesentlichen Ungleichgewicht betroffen sein, wie beispielsweise Subunternehmerverträge, Fahrzeugmietverträge, Leasingverträge und Lizenzverträge für den Betrieb einer Internetseite.
Unter „Klauseln, die zur Schaffung eines wesentlichen Ungleichgewichts führen“, versteht man in Frankreich Klauseln, in denen Preisanpassungen vorgesehen sind, die eine der Vertragsparteien zwingen, ihre Preise unter bestimmten Umständen ohne Verhandlungsmöglichkeit zu senken. Es kann sich auch um Klauseln betreffend Zahlungsfristen oder die Rücksendung von unverkaufter Ware handeln.
3. Welche Merkmale sind für die Qualifizierung einer Handlung als „Herbeiführung eines wesentlichen Ungleichgewichts“ maßgeblich?
Artikel L.442-1,I des frz. Handelsgesetzbuchs sieht folgendes vor:
« I.- Haftbar und zur Wiedergutmachung des im Rahmen der Geschäftsanbahnung, des Vertragschlusses oder der Vertragsdurchführung entstandenen Schadens verpflichtet ist jede Person, die eine Herstellungs-, Vertriebs- oder Service-Tätigkeit ausübt:
2° eine Partei Verpflichtungen, durch die ein bedeutendes Ungleichgewicht zwischen den Rechten und Pflichten der Parteien entstehen würde, unterwirft oder dies versucht“.
a) Wann kann man davon ausgehen, dass das Merkmal „unterwerfen einer anderen Partei“ vorliegt?
Das Merkmal „unterwerfen“ einer Partei nach französischem Recht setzt folgendes voraus:
- eine starke Position:
Handelt es sich bei den Vertragsparteien um Parteien, deren wirtschaftliche Kraft sehr ungleich ist, ist dies für das französische Gericht ein Indiz dafür, dass ein Unterordnungsverhältnis vorliegt.
Das Unterordnungsverhältnis ergibt sich aus der Position des Vertragspartners im Hinblick auf seine Verhandlungsmacht.
Eine Unterwerfung liegt dann nicht vor, wenn Klauseln tatsächlich frei ausgehandelt wurden, z.B. wenn der Lieferant Änderungen annimmt, um die der Händler gebeten hat.
- Nötigung:
Ein starkes Ungleichgewicht zwischen den Parteien alleine, wie es regelmäßig im Großhandel zwischen einem Händler und einem Lieferanten vorkommt, reicht noch nicht aus.
Es muss im konkreten Fall ein zusätzliches Element der Nötigung vorliegen.
Um feststellen zu können, ob Nötigung vorliegt, ist das Verhalten des stärkeren Verhandlungspartners zu analysieren. Als Nötigung können beispielsweise die Ausübung von Druck, das Aufzwingen von Einschränkungen oder das Aussprechen von Drohungen angesehen werden.
b) Wann liegt ein wesentliches wirtschaftliches Ungleichgewicht vor?
Ein solches Ungleichgewicht liegt vor, wenn ein Wirtschaftsakteur einer Partei für letztere nachteilige Handelsbedingungen aufzwingt. Dies ist etwa dann der Fall, wenn die Partei nur eine im Vergleich zum Wert der erbrachten Leistung unverhältnismäßige Gegenleistung erhält.
Dabei ist zu berücksichtigen, ob es sich um eine übermäßige und unverhältnismäßige oder willkürliche einseitige Verpflichtung ohne Vorliegen einer Gegenseitigkeit handelt.
Das Ungleichgewicht muss zudem erheblich sein.
Hierbei werden nicht nur die verschiedenen den Partnern gewährten Geschäfts- und Preisbedingungen verglichen, sondern es wird das gesamte Geschäftsverhältnis zwischen den Vertragspartnern berücksichtigt.
c) Wann fehlt die Möglichkeit zur Wiederherstellung des wirtschaftlichen Gleichgewichts?
In diesem Zusammenhang wird von einem französischen Gericht geprüft, ob im Gegenzug zu den Verpflichtungen einer Partei, die zu dem Ungleichgewicht geführt haben, auch bei der andere Partei Verpflichtungen bestehen, die das gesamte Vertragsverhältnis wieder ins Gleichgewicht bringen.
4. Was sind die Rechtsfolgen bei dieser Art des unlauteren Wettbewerbs in Frankreich?
Die Rechtsfolge, die am häufigsten von Klägern in Wettbewerbssachen beantragt wird, ist das Unterlassen / die Einstellung der wettbewerbswidrigen Handlungen.
Die strittigen Klauseln können von einem Gericht auch für unwirksam erklärt werden. Dies hat zur Folge, dass die Parteien erneut verhandeln müssen, wobei bestimmte Klauseln für künftige Verträge verboten werden können.
Die Rückzahlung von rechtsgrundlos gezahlten Beträgen und die Wiedergutmachung des erlittenen Schadens in Form der Gewährung von Schadensersatz können ebenfalls beantragt werden.
Praxistipp: Ein Unternehmen kann vor einem französischen Gericht beantragen, dass die vertraglichen Beziehungen erneut verhandelt werden, wenn ihm Verpflichtungen auferlegt wurden, durch die ein erhebliches Ungleichgewicht hinsichtlich der Rechte und Pflichten, die es an ihren Vertragspartner binden, geschaffen wurden.
Es kann ein Bußgeld von bis zu 5 Millionen Euro verhängt werden – diese Obergrenze gilt nicht in folgendem Fall: Das Bußgeld kann auf das Dreifache der zu Unrecht eingenommenen Beträge (Unterfall 1) oder, falls die Schwere des Verstoßes dies rechtfertigt, auf 5 % des in Frankreich erzielten Umsatzes (vor Steuern) (Unterfall 2) erhöht werden.
5. Vor welchen Gerichten kann in Frankreich geklagt werden?
In einer solchen Wettbewerbsstreitigkeit sind in Frankreich lediglich bestimmte auf wettbewerbseinschränkende Praktiken spezialisierte Gerichte zuständig.
Die Zuständigkeit dieser speziellen in Wettbewerbssachen zuständigen Gerichte kann auch durch eine Gerichtsstandsklausel nicht umgangen werden.
Sämtliche Rechtsmittel gegen ein erstinstanzliches Urteil sind vor dem Berufungsgericht von Paris einzulegen.
Zu den Handelsgerichten in Frankreich finden Sie hier nähere Informationen.
6. Wie kann ich meine Rechte als Unternehmer in Frankreich durchsetzen?
Gerichtliche Schritte können lediglich von Vertragspartnern, nicht aber von Dritten eingeleitet werden.
In Frankreich besteht in wettbewerbsrechtlichen Angelegenheiten allerdings die Besonderheit, dass der Wirtschaftsminister und der Präsident der Republik ebenfalls wettbewerbsrechtliche Klagen erheben können. Sie können somit Verfahren gegen Unternehmen einleiten, selbst wenn die Geschäftspartner, die selbst die benachteiligten Vertragspartner sind, dies gar nicht wünschen. Da die Furcht vor wirtschaftlicher Vergeltung groß ist, klagen Unternehmen, die Opfer unlauterer Geschäftspraktiken sind, häufig nur dann selbst, wenn sie nichts mehr zu verlieren haben, d.h. wenn die Geschäftsbeziehung sowieso bereits beendet ist.
Wie Sie in Frankreich ihre Rechte als Unternehmer wahren und durchsetzen können, erfahren Sie in unserem Artikel zum Thema unlauterer Wettbewerb in Frankreich.
7. Rolle des französischen Prüfungsausschusses für Handelspraktiken (Commission d'examen des pratiques commerciales / CEPC)
Der französische Ausschuss für Handelspraktiken gibt Stellungnahmen und Empfehlungen ab, die keine rechtliche Verbindlichkeit haben. Die von dieser Kommission zu bestimmten wettbewerbsrechtlich relevanten Klauseln erstellten Kommentierungen können jedoch als Anfang eines Verhaltenskodexes für die französische Wirtschaft angesehen werden.
Falls Sie hierzu weitere Informationen wünschen, steht Ihnen unsere Kanzlei jederzeit gerne zur Verfügung.