Wettbewerbswidrige Praktiken: Missbrauch einer wirtschaftlichen Abhängigkeit in Frankreich
Der Missbrauch der wirtschaftlichen Abhängigkeit eines anderen Unternehmens durch einen wirtschaftlich stärkeren Geschäftspartner ist in Frankreich verboten (sogenannter „abus de dépendance économique“). Durch Artikel L 420-2 Abs. 2 des französischen Handelsgesetzbuchs soll insbesondere der Missbrauch einer wirtschaftlichen Machtposition im Rahmen der Geschäftsbeziehungen zwischen Herstellern und Händlern sanktioniert werden.
1. Was ist im französischen Recht unter Missbrauch einer wirtschaftlichen Abhängigkeit zu verstehen?
Artikel L 420-2 Abs. 2 des französischen Handelsgesetzbuchs sanktioniert den Missbrauch im Rahmen der Geschäftsbeziehungen zwischen Herstellern und Händlern.
Eine Form des Missbrauchs stellt die Ausnutzung einer stärkeren Machtposition gegenüber dem anderen Geschäftspartner dar.
Insbesondere die Ausnutzung von ungleichen Geschäftsbeziehungen, bei denen eine der Parteien in einer wirtschaftlichen Abhängigkeit im Verhältnis zur ihrem Geschäftspartner steht, stellt einen Missbrauch einer wirtschaftlichen Abhängigkeit dar.
Im Unterschied zum Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (siehe hierzu unseren Artikel „Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung in Frankreich (abus de position dominante)“) wird der Missbrauch einer wirtschaftlichen Abhängigkeit lediglich anhand der Beziehungen zwischen (in der Regel) zwei Unternehmen bewertet. Anders als bei der marktbeherrschenden Stellung ist es nicht erforderlich nachzuweisen, dass der Verstoß gegen den freien Wettbewerb auf dem Markt wahrnehmbar ist, um diesen verbieten zu lassen. Der derzeitige Gesetzestext beschränkt sich auf die Beeinträchtigung – ja sogar auf
die mögliche Beeinträchtigung – des Funktionierens des Wettbewerbs oder der Wettbewerbsstruktur auf der Ebene von zwei Unternehmen.
Für kleine und mittelständische Unternehmen, in Frankreich als PME (petites et moyennes entreprises) bezeichnet, betrifft dies insbesondere Fälle, in denen der Missbrauch einer wirtschaftlichen Abhängigkeit zur Schließung eines Unternehmens oder zu dessen Rückzug vom Markt führt.
2. Wann kann man in Frankreich von einer wirtschaftlichen Abhängigkeit sprechen?
In Frankreich gibt es keine gesetzliche Definition des Begriffs der wirtschaftlichen Abhängigkeit.
Daher obliegt es den zuständigen Behörden und der Rechtsprechung, die wesentlichen Kriterien hierfür festzulegen.
Verfügt einer der Geschäftspartner über keine alternative Bezugsmöglichkeit, falls er sich weigert, den Vertrag zu den Bedingungen abzuschließen, die ihm von seinem Kunden oder Lieferanten aufgezwungen werden, so liegt hierin nach Auffassung der französischen Wettbewerbsbehörde und der Rechtsprechung das wesentliche Kriterium dafür, ob ein Fall von wirtschaftlicher Abhängigkeit vorliegt.
Dies ist beispielsweise der Fall bei einem Fachhändler (zB Bekleidung, Parfümerie, Sportartikel), der nicht konkurrenzfähig wäre, ohne Produkte einer bekannten Marke zum Verkauf anzubieten.
Folgende Kriterien werden ebenfalls berücksichtigt, um zu beurteilen, ob ein Missbrauch der wirtschaftlichen Abhängigkeit in Frankreich vorliegt:
- der Anteil des Lieferanten am Umsatz seines oder seiner Geschäftspartner(s);
- die Bekanntheit der Marke oder des Handelszeichens;
- die Bedeutung des Marktanteils von Geschäftspartnern;
- bestehen für den Händler alternative Bezugsmöglichkeiten oder nicht;
- die Faktoren, die zur wirtschaftlichen Abhängigkeit geführt haben (handelt es sich um eine strategische Wahl des Händlers oder wurde der Händler durch das Verhalten des Lieferanten zum Vertragsschluss gezwungen).
Häufigster Fall: Die Abhängigkeit eines Händlers von einem Lieferanten
Bietet ein Lieferant / Hersteller bestimmte Marken oder Produkte an, die sich von anderen abheben und nicht substituierbar sind, so handelt es sich um eine sog. dépendance d'approvisionnement (Belieferungsabhängigkeit), die auch dépendance „pour cause d'assortiment" (sortimentsbedingte Abhängigkeit) genannt wird. Diese Art der Abhängigkeit besteht immer dann, wenn der Händler bestimmte Marken mit einem gewissen Bekanntheitsgrad führen muss, um konkurrenzfähig zu sein.
Dabei werden
- der Bekanntheitsgrad der Marke des Herstellers,
- der Anteil, den das Produkt des Lieferanten am Umsatz des Händlers ausmacht (sofern dieser Anteil nicht aus einer bewussten Wahl des Händlers hinsichtlich seiner Geschäftsstrategie resultiert), und
- die Schwierigkeit für den Händler, von anderen Lieferanten gleichwertige Produkte zu erhalten,
berücksichtigt.
3. Ab wann spricht man in Frankreich von einer missbräuchlichen Ausnutzung der Abhängigkeit?
Von einer missbräuchlichen Ausnutzung einer Abhängigkeit ist nach französischem Recht auszugehen, wenn es sich um anormale nicht gerechtfertigte Praktiken handelt, die ein Unternehmen nicht umsetzen könnte, wenn sein Geschäftspartner nicht von ihm abhängig wäre.
4. Kann ein solcher Missbrauch gerechtfertigt sein?
Der Missbrauch der wirtschaftlichen Abhängigkeit ist dann nicht verboten, wenn für die Verhaltensweise eine per ministeriellem Erlass gewährte Befreiung gilt oder wenn die Vertragsparteien nachweisen können, dass die Vereinbarung die „Sicherstellung der Entwicklung des wirtschaftlichen Fortschritts“ zum Ziel hat.
5. Wie kann ich meine Rechte als Unternehmer in Frankreich durchsetzen?
Wie Sie in Frankreich ihre Rechte als Unternehmer wahren und durchsetzen können, erfahren Sie in unserem Artikel zum Thema unlauterer Wettbewerb in Frankreich.
6. Welche Sanktionen drohen in Frankreich?
Eine Verpflichtung, Vereinbarung oder eine Vertragsklausel, die einen Missbrauch der wirtschaftlichen Abhängigkeit darstellt, ist von Rechts wegen nichtig.
Das für diesen Missbrauch verantwortliche Unternehmen kann von der französischen Wettbewerbsbehörde mit Geldbußen in Höhe von bis zu 10% des höchsten weltweiten Gesamtumsatzes vor Steuern in einem der Geschäftsjahre belegt werden (Artikel L. 464-2 des französischen Handelsgesetzbuchs).
Natürliche Personen, die betrügerisch eine persönliche und entscheidende Rolle bei der Gestaltung, Organisation oder Durchführung eines solchen Missbrauchs der wirtschaftlichen Abhängigkeit eingenommen haben, können mit einer Freiheitsstrafe von bis zu vier Jahren und einer Geldstrafe in Höhe von 75.000 Euro bestraft werden (Artikel L. 420-6 des französischen Handelsgesetzbuchs).
Die Wiedergutmachung des Schadens durch Gewährung von Schadensersatz oder die Anordnung der Unterlassung der wettbewerbswidrigen Handlung können gerichtlich eingeklagt werden.
Dem betreffenden Unternehmen kann auch vorgegeben werden, innerhalb einer bestimmten Frist sämtliche Vereinbarungen zur Kartellbildung, die diesen Missbrauch ermöglicht haben, zu ändern oder zu kündigen.
Diese zivilrechtlichen Sanktionen können von französischen Gerichten auf Antrag eigenständig ausgesprochen werden; der vorherigen Einholung einer Stellungnahme der französischen Wettbewerbsbehörde bedarf es nicht.
7. Welches Recht ist anwendbar? Deutsches, französisches oder europäisches Wettbewerbsrecht?
Die französischen Behörden und die französische Rechtsprechung müssen im Falle der Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten auch die wettbewerbsrechtlichen / kartellrechtlichen Vorschriften der Europäischen Union anwenden. EU-Recht findet insbesondere dann Anwendung, wenn die wettbewerbswidrigen Praktiken auch Auswirkungen auf den europäischen Markt haben, und zwar auch dann, wenn diese Praktiken ihren Ursprung in Frankreich haben.
Französisches Wettbewerbsrecht findet Anwendung, wenn die Handlungen zum Ziel haben, den Wettbewerb auf einem Markt in Frankreich einzuschränken. Französisches Recht ist auch dann anwendbar, wenn es sich bei den Unternehmen, die wettbewerbseinschränkende Handlungen in Frankreich vornehmen, um ausländische Unternehmen handelt.
8. Wie ist der Wortlaut der einschlägigen Vorschrift des französischen Handelsgesetzbuchs?
Artikel L 420-2 Abs. 2 des französischen Handelsgesetzbuchs sieht folgendes vor:
„Verboten ist zudem die missbräuchliche Ausnutzung durch ein Unternehmen oder eine Unternehmensgruppe der wirtschaftlichen Abhängigkeit, in der sich ein Unternehmen oder ein Lieferant ihm/ihr gegenüber befindet, wenn dies das Funktionieren des Wettbewerbs oder die Struktur der Konkurrenz beeinflussen würde. Diese Missbräuche können insbesondere in der Verkaufsverweigerung, in der Produktkopplung, in diskriminierenden Handlungen im Sinne des Artikels L. 442-6 oder in sog. accords de gamme (Vereinbarungen, die große Marken ihren Vertriebspartnern anbieten, im Rahmen derer gegen Gewährung eines Rabatts auf ein Hauptprodukt die Listung eines anderen Produkts der Produktlinie erwirkt wird) liegen.“
Falls Sie hierzu weitere Informationen wünschen, steht Ihnen unsere Kanzlei jederzeit gerne zur Verfügung.
Stand Oktober 2019