Außendienstmitarbeiter in Frankreich: Ist die Fahrzeit zum ersten oder letzten Kunden des Tages als Arbeitszeit anzusehen und zu vergüten?
In Frankreich ist eine wichtige Rechtsprechung zu Fahrzeiten von mobilen Arbeitnehmern ergangen. Es geht um die Frage: Wann ist eine Fahrtzeit eines mobilen Arbeitnehmers in Frankreich Arbeitszeit und ist dementsprechend zu bezahlen?
Bis zum Jahr 2022 urteilte das französische Kassationsgericht, dass Fahrzeiten eines Außendienstmitarbeiters (von zu Hause) zu seinem ersten Kunden des Tages sowie vom Standort des letzten Kunden des Tages nach Hause als Arbeitszeit vergütet werden müssen.
Unter dem Einfluss der europäischen Rechtsprechung (siehe EuGH, 3. Kammer, 10. September 2015, Rs. C-266/14, Federación de Servicios Privados del sindicato Comisiones obreras) hat das französische Kassationsgericht seine Rechtsprechung zu mobilen Arbeitnehmern ohne gewöhnlichen festen Arbeitsort geändert, nämlich mit seinem Urteil vom 23. November 2022 (Kassationsgericht für Arbeitssachen, 23. November 2022, Nr. 20-21.924 P-B-R).
Das Kassationsgericht vertritt nun die Auffassung, dass die Fahrtzeiten von mobilen Arbeitnehmern zwischen ihrem Wohnort und ihrem ersten bzw. letzten Kunden des Tages tatsächliche Arbeitszeit darstellen und als solche vergütet werden müssen.
Voraussetzung für die Pflicht zur Bezahlung der Fahrzeit der Arbeitnehmer ist, dass die Reisezeit der Definition der effektiven Arbeitszeit entspricht, d. h. dass der Arbeitnehmer während der Reise
- dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und
- dessen Anweisungen befolgen muss und
- dass er in dieser Zeit nicht persönlichen Angelegenheiten nachgehen kann.
Wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, muss diese Fahrzeit (Reisezeit) als effektive Arbeitszeit angesehen und vergütet werden, insbesondere muss die Fahrzeit auch bei der Ermittlung der geleisteten Überstunden berücksichtigt werden.
Falls die o. g. Voraussetzung hingegen nicht erfüllt ist, gilt diese Fahrzeit nicht als effektive Arbeitszeit. In diesem Fall hat der mobile Außendienstmitarbeiter in Frankreich somit nur Anspruch auf die in Artikel L. 3121-4 des französischen Arbeitsgesetzbuchs bestimmte finanzielle Gegenleistung bzw. Ruhezeit.
Unser Praxistipp
Die Rechtsprechung in Frankreich hatte in den vergangenen Jahren wiederholt die Gelegenheit, sich zu der Frage zu äußern, wann bei Außendienstmitarbeitern die Reisezeit eine zu vergütende Arbeitszeit ist und wann nicht.
Aus den ergangenen Urteilen können Handlungsweisen abgeleitet werden, um das Risiko von Gehaltsnachforderungen von Mitarbeitern im Außendienst in Frankreich zu minimieren.
In folgenden Sachverhalten haben die Gerichte in Frankreich entschieden, dass die Fahrtzeit zwischen dem Wohnort des Arbeitnehmers und dem Standort des ersten bzw. des letzten Kunden des Tages keine effektive Arbeitszeit darstellt und somit nicht zu vergüten ist:
- Ob der erste und letzte Reiseweg des Tages tatsächlich als Arbeitszeit zu sehen und somit auch zu vergüten ist, hängt davon ab, ob der Arbeitnehmer während seiner ersten und letzten Fahrt des Tages dem Arbeitgeber tatsächlich zur Verfügung stand. Die durch den Arbeitgeber durchgeführten Kontrollen der Routenverläufe des Arbeitnehmers sowie der ordnungsgemäßen Beachtung der Dienstanweisung zu Hotelübernachtungen kann nicht zur Annahme von Arbeitszeiten während der Fahrtzeiten herangezogen werden, wenn der Zweck dieser „Kontrollen“ die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen einer Entschädigungsleistung für ungewöhnlich lange Fahrten war (z. B. ab 45 Minuten Fahrt) und der Arbeitnehmer seine täglichen Touren selbst organisieren konnte.
- Ein mobiler Vertriebsmitarbeiter, der seine Touren selbst organisieren kann und der vor seinem ersten Termin und nach seinem letzten Termin des Tages seinen persönlichen Interessen nachgehen kann, kann sich – um die erste und die letzte Fahrt des Tages als Arbeitszeit anzusehen – nicht darauf berufen, dass der Arbeitgeber ab einer bestimmten Entfernung Hotelübernachtungen vorschreibt, mit dem Zweck, dem Arbeitnehmer zu lange Fahrtzeiten zu ersparen.
- Existenz eines elektronischen Druckknopfes mit der Bezeichnung "Privatleben" („vie privée“) am Dienstfahrzeug, durch den der Arbeitnehmer die GPS-Ortung seines Fahrzeugs jederzeit deaktivieren kann.