Frankreich: Die krankheitsbedingte Kündigung eines Arbeitnehmers
Kann nach französischem Recht einem Arbeitnehmer aufgrund seiner Krankheit gekündigt werden?
Artikel L. 1132-1 des französischen Arbeitsgesetzbuchs untersagt die gesundheitsbedingte Diskriminierung von Arbeitnehmern, also ihre Diskriminierung aufgrund ihres Gesundheitszustandes. Es besteht jedoch die Möglichkeit, einem Arbeitnehmer aufgrund seiner Krankheit zu kündigen. Dabei sind jedoch einige strenge Vorschriften zu beachten.
In zwei Entscheidungen vom 31. März 2016 ist die arbeitsrechtliche Kammer des französischen Kassationsgerichtshofs auf diese Vorschriften eingegangen.
Die erste Entscheidung (Cass. Soc, 31. März 2016, 14-21.682) nennt die Voraussetzungen, die für eine Kündigung aufgrund wiederholter oder aufgrund längerer Abwesenheit des Arbeitnehmers erfüllt sein müssen, nämlich:
- die objektive Beeinträchtigung des Betriebs der Gesellschaft aufgrund der Abwesenheit des Arbeitnehmers und
- die Erforderlichkeit, den betreffenden Arbeitnehmer endgültig zu ersetzen.
Die zweite Entscheidung (Cass. Soc., 31. März 2016, 14-14.355) stellt klar, dass die Diskriminierung eines Arbeitnehmers aufgrund seines Gesundheitszustandes nicht allein dadurch gegeben ist, dass die Voraussetzungen für eine Kündigung (wiederholte oder längere Abwesenheiten) nicht beachtet worden sind. Sofern die Kündigung die von der Rechtsprechung vorgegebenen Voraussetzungen erfülle, erfolge die Kündigung, so der Kassationsgerichtshof, nicht schlicht aufgrund des Gesundheitszustands des Arbeitnehmers (und somit diskriminierend bzw. rechtswidrig), sondern aufgrund der objektiven Situation des Unternehmens, dessen Betrieb durch die (durch den Gesundheitszustand bedingte) Abwesenheit des Arbeitnehmers beeinträchtigt wird. Mit anderen Worten: Eine gesundheitsbedingte Abwesenheit eines Arbeitnehmers genügt für eine Kündigung als Grund allein nicht; es müssen vielmehr weitere Voraussetzungen hinzukommen, insbesondere eine entsprechende negative Auswirkung auf den Betrieb im Unternehmen. Hierauf soll im Folgenden näher zusammenfassend eingegangen werden.
I. Die Voraussetzungen für die Kündigung eines Arbeitnehmers aufgrund seiner Krankheit
Ein Arbeitgeber kann den Arbeitsvertrag eines Arbeitnehmers, der aufgrund einer Krankheit häufig oder über einen längeren Zeitraum hinweg abwesend ist, beenden wollen. Laut Rechtsprechung müssen in diesen beiden Fällen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind (z. B. Cass. Soc., 31. März 2016, 14-21.682: In diesem Fall war der Arbeitnehmer seit fast 2 Jahren krankheitsbedingt abwesend gewesen.).
Die Kündigung des Arbeitsvertrags eines Arbeitnehmers aufgrund einer nicht-berufsbedingten Krankheit (bei berufsbedingten Krankheiten gelten besondere Regelungen) ist möglich, wenn folgende zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:
- Die Abwesenheit des Arbeitnehmers beeinträchtigt objektiv den Betrieb des Unternehmens Gesellschaft und
- es ist erforderlich, den Arbeitnehmer endgültig zu ersetzen.
Es handelt sich in diesem Fall um eine personenbedingte Kündigung. Die Voraussetzungen, unter denen eine solche Kündigung zu erfolgen hat, wurden im Laufe der Jahre von der Rechtsprechung näher bestimmt.
Im Hinblick auf die objektive Beeinträchtigung des Funktionierens des Unternehmens obliegt es dem Arbeitgeber, den entsprechenden Beweis zu erbringen. Das Unternehmen wird von den Arbeitsgerichten in einem engen Sinne verstanden, so dass die Beeinträchtigung nicht bloß in Bezug auf die betroffene Niederlassung bewertet wird, sondern in Bezug auf das Unternehmen in seiner Gesamtheit (Cass. Soc., 23. Januar 2013, 11-28.075). Dabei beurteilen die Richter die vom Arbeitgeber behauptete objektive Beeinträchtigung des Unternehmens nach richterlichem Ermessen.
Der Arbeitgeber muss auch nachweisen, dass es erforderlich ist, den Arbeitnehmer endgültig zu ersetzen und dass es nicht möglich ist, auf einen oder ggf. mehrere aufeinanderfolgende
befristete Arbeitsverträge mit anderen, den betreffenden Arbeitnehmer zeitweise ersetzenden Arbeitnehmern, auszuweichen.
Die endgültige Ersetzung des Arbeitnehmers durch einen anderen Arbeitnehmer muss zeitnah zur Kündigung erfolgen. In oben erwähnten ersten Entscheidung vom 31. März 2016 hat der französische Kassationsgerichtshof die Richter der ersten Instanzen scharf kritisiert. Letztere hatten nämlich die Ansicht vertreten, dass sich die verspätete Ersetzung des gekündigten Arbeitnehmers (3 Monate nach Ausspruch der Kündigung) insbesondere dadurch erklären und rechtfertigen lasse, dass zunächst ein geeigneter ersetzender Arbeitnehmer mit spezifischen Fachkenntnissen gesucht werden musste. Der frz. Kassationsgerichtshof hat dem gekündigten Arbeitnehmer jedoch recht gegeben, da die Einstellung des ihn ersetzenden Arbeitnehmers nicht zeitnah zur Kündigung erfolgt war. In der Folge wurde die Kündigung des Arbeitnehmers für rechtswidrig erklärt.
Damit eine Ersetzung als endgültig angesehen werden kann, wird darüber hinaus der Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrags mit dem ersetzenden Arbeitnehmer gefordert: Wird der gekündigte Arbeitnehmer durch einen Arbeitnehmer mit befristetem Arbeitsvertrag ersetzt, gilt die Kündigung daher bereits aus diesem Grund als rechtswidrig.
In einem anderen Urteil hat der frz. Kassationsgerichtshof jedoch auch entschieden, dass die Ersetzung des gekündigten Arbeitnehmers nicht erforderlich sei, wenn durch eine einfache interne Umorganisation die Abwesenheit des Arbeitnehmers ausgeglichen werden könne (Cass. Soc., 13. März 2001, 99-40.110).
Es ist somit im Einzelfall jeweils genau zu prüfen, wie streng der Maßstab der zeitnahen Ersetzung des zu kündigenden Arbeitnehmers anzulegen ist.
Ist eine dieser Voraussetzungen – oder eine zusätzliche tarifvertragliche Voraussetzung - nicht erfüllt, ist die Kündigung rechtswidrig und hat die entsprechenden Auswirkungen einer rechtswidrigen Kündigung.
II. Das zu beachtende Kündigungsverfahren
Im Rahmen der rechtmäßigen Kündigung eines Arbeitnehmers wegen wiederholter oder verlängerter Abwesenheiten ist das Kündigungsverfahren für personenbedingte Kündigungen einzuhalten. Zunächst ist zu beachten, dass der im Einzelfall geltende Tarifvertrag zusätzliche (schützende) Vorschriften zugunsten des Arbeitnehmers enthalten kann, insbesondere in Bezug auf das Kündigungsverfahren. Diese tarifvertraglichen Vorschriften müssen, neben den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften zum Kündigungsverfahren, dann genauso beachtet werden. Bei Nichtbeachtung einer im anwendbaren Tarifvertrag verankerten Schutzvorschrift würde ein befasstes Arbeitsgericht die Kündigung nämlich insgesamt für rechtswidrig erklären.
Das gesetzliche Kündigungsverfahren hat in folgenden Schritten abzulaufen:
- Ladung des Arbeitnehmers per Einschreiben zu einem Kündigungsvorgespräch:
- Information des Arbeitnehmers, dass er sich bei diesem Gespräch begleiten lassen darf,
- Zwischen dem ersten Zustellungsversuch des Ladungsschreibens (zwingend per Einschreiben mit Rückschein zu versenden) und dem Datum des Vorgesprächs müssen mindestens fünf Werktage liegen.
- Wichtig: Wenn der abwesende Arbeitnehmer nur in den von der Krankenversicherung oder vom Arzt autorisierten Zeiträumen das Haus verlassen darf, ist das Kündigungsvorgespräch zwingend in eben jenen Zeiträumen abzuhalten.
- Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer während des Kündigungsvorgesprächs die Gründe für die in Betracht gezogene Kündigung erläutern und die eventuellen Erklärungen des Arbeitnehmers hierzu anhören.
- Zustellung des Kündigungsschreibens per Einschreiben mit Rückschein, frühestens zwei Tage nach dem Tag des Kündigungsvorgesprächs, zu dem der Arbeitnehmer ordnungsgemäß geladen worden ist.
- Im Kündigungsschreiben müssen die Kündigungsgründe explizit und präzise erläutert werden: Die durch seine Abwesenheiten bedingte objektive Beeinträchtigung des Unternehmensbetriebs und die Notwendigkeit seiner endgültigen Ersetzung (Cass. Soc., 19. Oktober 2005, 03-46.847). Anderenfalls könnte das Arbeitsgericht die Kündigung, im Fall ihrer Anfechtung durch den Arbeitnehmer, allein aus diesem Grund für rechtswidrig erklären.
- Der Arbeitgeber kann den Arbeitnehmer für die Zeit der Kündigungsfrist von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freistellen. Falls eine solche Freistellung erfolgt, muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer – trotz der Freistellung – während der Kündigungsfrist das „normale“ Gehalt weiterbezahlen.
Erfolgt eine Freistellung hingegen auf ausdrücklichen Wunsch des Arbeitnehmers, so ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, während der Kündigungsfrist das Gehalt weiter zu bezahlen.
Falls eine arbeitgeberseitige Freistellung nicht erfolgt, der Arbeitnehmer jedoch während der Kündigungsfrist nicht arbeitet, weil er während der Kündigungsfrist nicht arbeiten kann oder nicht arbeiten möchte, so ist ebenfalls das Gehalt während der Kündigungsfrist nicht weiterzubezahlen.
Der Arbeitgeber ist ferner verpflichtet, dem Arbeitnehmer die gesetzliche oder die tarifvertragliche Kündigungsentschädigung (indemnité de licenciement) sowie den Abgeltungsbetrag für noch offene Urlaubsansprüche zu zahlen.
Stand der Bearbeitung: September 2016