Frankreich: Verpflichtende vorherige Information des Betriebsrates und der sonstigen Personalvertretungsorgane
Die Strafkammer des französischen Kassationsgerichtshofs (höchstes Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Frankreich) hat im März 2016 drei Urteile erlassen (15. März 2016, Nr. 14- 85.078 und 30. März 2016, Nr. 13-81.784 und Nr. 15-80.117), in denen er klarstellt, dass vor bestimmten betrieblichen Maßnahmen die vorherige Anhörung des Betriebsrats (Comité d’entreprise – CE) sowie des Ausschusses für Hygiene, Gesundheit und Arbeitsbedingungen (Comité d’hygiène, de santé et des conditions de travail – CHSCT) für den Arbeitgeber verpflichtend ist. Bei Nichterfüllung dieser Pflicht droht eine strafrechtliche Verurteilung wegen Behinderung der Tätigkeit der Personalvertretungsorgane (délit d’entrave, Behinderungsdelikt).
Der Betriebsrat (CE) und der Ausschuss für Hygiene, Gesundheit und Arbeitsbedingungen (CHSCT) müssen seitens des Arbeitgebers in bestimmten Bereichen vor jeder Entscheidung ordnungsgemäß angehört werden. Dieses Recht auf Anhörung ermöglicht es den Personalvertretungsorganen, zu den vom Arbeitgeber zu treffenden Entscheidungen Stellung zu nehmen, wobei der Arbeitgeber jedoch hernach nicht verpflichtet ist, dieser Stellungnahme zu folgen.
Der Anwendungsbereich dieses Anhörungsrechts ist im Gesetz sehr allgemein formuliert, sowohl für den Betriebsrat (Art. L. 2323-6 des Code du travail (frz. Arbeitsgesetzbuch): „((…) die Fragen, bezüglich der Organisation, Verwaltung und des allgemeinen Geschäftsgangs des Unternehmens (…)“) als auch für den CHSCT (Artikel L. 4612-8 des frz. Arbeitsgesetzbuchs: „(…) jede Entscheidung bezüglich einer wesentlichen Änderung der Gesundheits- und Sicherheitsbedingungen oder der Arbeitsbedingungen“).
Werden diese zwei Personalvertretungsorgane nicht vor jeder Entscheidung zu Themen, die (von Gesetzes wegen) in ihren Kompetenzbereich fallen, angehört, droht eine strafrechtliche Sanktion gegen den Arbeitgeber wegen Behinderung ihrer Tätigkeit.
Um die Geschäftsleitungsbefugnisse des Arbeitgebers nicht übermäßig einzuengen, wurde diese Anhörungspflicht durch die Rechtsprechung begrenzt: Die Wichtigkeit der anstehenden Entscheidung ist nun zu berücksichtigen. Das heißt der Arbeitgeber ist nur dann zur Anhörung der Personalvertretungsorgane verpflichtet, wenn die geplanten Maßnahmen wichtig sind und keinen bloß individuellen Charakter haben (Strafkammer des frz. Kassationsgerichtshofs, 3. Mai 1994, 93-80.911).
Die nachfolgende Darstellung soll den gewöhnlichen zeitlichen Ablauf der Umsetzung einer Entscheidung des Arbeitgebers veranschaulichen:
I. Vorherige Information der Personalvertretungsorgane
Die Anhörung schließt eine vorherige Information der Personalvertretungsorgane über die geplante Maßnahme ein, wobei dem Personalvertretungsorgan eine ausreichende Prüffrist für die Analyse der übermittelten Informationen einzuräumen ist. Betreffend die Dauer der Prüffrist können der Arbeitgeber und die beteiligten Personalvertretungsorgane eine Vereinbarung schließen, in der eine entsprechende Frist festgelegt wird. Falls eine solche Vereinbarung nicht getroffen wird, regelt Artikel R. 2323-1-1 des französischen Arbeitsgesetzbuchs für bestimmte Sachbereiche die Prüffrist:
Prüffrist | 1 Monat | 2 Monate | 3 Monate | 4 Monate |
Situation | Allgemeine Prüffrist | Im Fall der Einbeziehung eines Sachverständigen | Im Fall der Anrufung eines oder mehrerer CHSCT | Koordinierungs-stelle des CHSCT wird eingerichtet |
Falls eine Stellungnahme (trotz ordnungsgemäßer Information des/ der jeweiligen Personalvertretungsorgan(e)) innerhalb der Prüffrist nicht erfolgt, gilt, dass die Voraussetzung der Anhörung des Personalvertretungsorgans erfüllt wurde und dass letzteres eine negative Stellungnahme abgegeben hat.
II. Die Anhörung des Personalvertretungsorgans muss vor der finalen Entscheidung des Arbeitgebers erfolgen
Laut Artikel L. 2323-2 des französischen Arbeitsgesetzbuchs muss vor bestimmten Entscheidungen des Arbeitgebers die Anhörung des Betriebsrats stattfinden.
Problematisch hierbei ist jedoch die Definition des Begriffs „Entscheidung“ Es wäre klassischerweise nicht im Interesse des Arbeitgebers, dass er vor jeder Entscheidung zum Beispiel den Betriebsrat informieren und anhören muss.
Der Begriff der „Entscheidung“ wird vom französischen Kassationsgerichtshof sehr weit gefasst, was zu Unsicherheiten geführt hat hinsichtlich der Frage, wann die Personalvertretungsorgane anzuhören sind und wann dies nicht erforderlich ist.
In einem Grundsatzurteil vom 12. November 1997 (Nr. 96-12.314) hat der Kassationsgerichtshof den Begriff „Entscheidung“ definiert und entschieden, dass dieser zu verstehen sei als eine „Willensbekundung eines Geschäftsleitungsorgans, die verbindlich ist, ohne dass diese notwendigerweise genaue oder konkrete Maßnahmen einschließt“.
Demgemäß erfordert ein Vorhaben – auch wenn dieses recht allgemein formuliert sein sollte – immer dann die Information und Anhörung der Personalvertretungsorgane, wenn der Gegenstand dieses Vorhabens ausreichend bestimmt ist, sodass dessen Umsetzung Auswirkungen auf die Organisation oder die Führung des Unternehmens hat.
Indem der Begriff „Entscheidung“ derart erweitert wurde, dass dieser auch ein Vorhaben umfassen kann, muss die Anhörung frühzeitig im Entscheidungsprozess erfolgen. In seinem oben genannten ersten Urteil vom 30. März 2016 hatte der Kassationsgerichtshof entschieden, dass eine Behinderung der Tätigkeit des CHSCT, also eine Straftat, vorliegt. In diesem Fall war die Anhörung am 27. April 2009 durchgeführt worden, zu einem Zeitpunkt, da sich die
Entscheidung zur Neuorganisation des Unternehmens bereits in der Umsetzung befand: Der Arbeitgeber hatte bereits seit dem 26. März 2009 Kenntnis von der geplanten Maßnahme und war bereits im November 2008 über die Umsetzung des neuen Konzepts informiert worden.
Dies bedeutet, dass die Entscheidung des Arbeitgebers noch nicht unbedingt beschlossen sein muss, damit die Informations- und Anhörungspflichten ausgelöst werden und ggf. das Risiko eines Behinderungsdelikts besteht. In seinem zweiten Urteil vom 30. März 2016 hat die Strafkammer des französischen Kassationsgerichtshofs entschieden, dass ein Behinderungsdelikt vorliegt aufgrund der Tatsache, dass das Vorhaben zur Schließung des Standortes bereits vom Verwaltungsrat genehmigt worden war bevor Information und Anhörung der Personalvertretungsorgane erfolgten:
Aufgrund dieser vorab erteilten Genehmigung seitens des Verwaltungsrats und auch aufgrund der vom Directeur Général (Generaldirektor) erteilten Genehmigung der Durchführung sämtlicher Schritte und der Unterzeichnung sämtlicher erforderlichen Dokumente hat der Kassationsgerichtshof entschieden, dass die Kriterien für das Vorliegen einer „Entscheidung“ im Sinne des Artikels L2323-2 des frz. Arbeitsgesetzbuchs erfüllt waren. Dies bedeutete, dass eine Informations- und Anhörungspflicht tatsächlich bestanden hatte. Das Unternehmen wurde im Ergebnis (strafrechtlich) wegen Behinderung des ordnungsgemäßen Funktionierens des Betriebsrats verurteilt.
Praxistipp:
Zur Vermeidung einer strafrechtlichen Verurteilung sollten die betroffenen Personalvertretungsorgane (ob Betriebsrat oder CHSCT) frühestmöglich über eine Maßnahme informiert werden, nach Möglichkeit schon bevor das Vorhaben in irgendeiner Weise in einem Dokument konkretisiert wird. Ferner ist zu empfehlen, die Personalvertretungsorgane bei komplexeren Projekten, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken und sukzessive Entscheidungsprozesse im Unternehmen einschließen, bezüglich aller erfolgenden Entscheidungen zu informieren und anzuhören.
Diese recht strengen Anforderungen bezüglich des Zeitpunkts der Anhörung der Personalvertretungsorgane werden letztlich aber abgeschwächt durch die nicht besonders schwerwiegenden Sanktionen bei einem Behinderungsdelikt. Über diese Sanktionen möchten wir im folgenden Abschnitt informieren.
III. Sanktionen bei fehlender Anhörung
Unterbleit die vorgeschriebene Anhörung eines Personalvertretungsorgans in rechtswidriger Weise, stellt dies, wie oben erwähnt, ein sogenanntes Behinderungsdelikt (délit d’entrave) dar.
Das Behinderungsdelikt wird mit einer Geldstrafe in Höhe von 7.500 Euro für eine natürliche Person und von 37.500 Euro für eine juristische Person geahndet.
Neben dieser strafrechtlichen Sanktion können zudem zivilrechtliche Sanktionen verhängt werden, wobei es sich im wesentlichen um Schadensersatz handelt. In den drei im März 2016 erlassenen Urteilen hat das mit der Hauptsache befasste Gericht den Schadensersatz auf einen Betrag in Höhe von 2.000 und 3.000 Euro wegen Behinderung des ordnungsgemäßen Funktionierens des Betriebsrats und auf 3.000 Euro wegen der Behinderung der Arbeit des
CHSCT festgelegt. Letzterer kann, trotz Fehlens eines eigenen Budgets, selbst Klage vor Gericht erheben, wenn seine eigenen Interessen betroffen sind, wobei die Gerichtskosten dann vom Arbeitgeber zu tragen sind.
Kann die unter Missachtung der Pflicht zur Anhörung der Personalvertretungsorgane durchgeführte Handlung vom Gericht für nichtig erklärt werden?
Auch wenn der Kassationsgerichtshof dies gelegentlich so entschieden hat, wie beispielsweise im Falle der Nichtladung des Betriebsrats zu den Sitzungen des Verwaltungsrats (Handelskammer des Kassationsgerichtshofes, Urteil vom 17. Februar 1975, Nr. 73-13.242), wird heute von dieser Lösung Abstand genommen.
Zusammengefasst bedeutet dies: Einem Arbeitgeber, der die Anhörungspflicht missachtet hat, drohen demzufolge zwei Sanktionen: Eine strafrechtliche Verurteilung wegen eines Behinderungsdelikts, die zu einer Geldstrafe in Höhe von bis zu 7.500 Euro führen kann sowie (daneben) eine zivilrechtliche Verurteilung zu Schadensersatz.
Falls Sie zu diesem Thema weitere Informationen wünschen, steht Ihnen unsere Kanzlei gerne zur Verfügung.