Handelsvertretervertrag in Frankreich: Schadensersatz zugunsten des Prinzipals (Auftraggebers) bei schwerem Fehlverhalten des Handelsvertreters
Durch eine Klausel zur Haftungsbeschränkung kann vertraglich vereinbart werden, dass die Nichterfüllung einer vertraglichen Verpflichtung oder des Vertrages im Ganzen einen Schadensersatzanspruch auslöst, der auf einen bestimmten Betrag begrenzt ist.
Nach französischem Recht hat der Handelsvertreter grundsätzlich einen Anspruch auf eine Ausgleichszahlung (indemnité de rupture) bei Vertragsende in Höhe von zwei Jahresprovisionen, die aus dem Durchschnitt der Provision der letzten drei Jahre vor Beendigung des Vertrags berechnet werden (Artikel L. 134-12 des französischen Handelsgesetzbuchs, gefestigte Rechtsprechung).
Das französische Recht listet in Artikel L. 134-13 des Handelsgesetzbuchs abschließend die Fälle auf, in denen der Handelsvertreter diesen Ausgleichsanspruch verliert:
- Beendigung des Vertrags durch den Prinzipal aufgrund eines schweren Fehlverhaltens des Handelsvertreters;
- Beendigung des Vertrags auf eigene Initiative des Handelsvertreters (außer wenn diese auf ein Verhalten des Unternehmers, das Alter des Handelsvertreters oder die Krankheit des Handelsvertreters zurückzuführen ist);
- Übertragung der Rechte und Pflichten aus dem Handelsvertretervertrag an einen Dritten im Einvernehmen mit dem Auftraggeber.
In einem kürzlich ergangenen Urteil vom 19. Oktober 2022 musste sich der französische Kassationsgerichtshof mit der ersten in Artikel L. 134-13 des Handelsgesetzbuchs genannten Konstellation befassen.
Im vorliegenden Fall hatte ein Handelsvertreter auf gerichtliche Feststellung der Beendigung des Handelsvertretervertrags geklagt und machte ein Verschulden des Auftraggebers geltend.
In seiner Klageschrift forderte er daher auch die Zahlung einer Ausgleichsentschädigung für die Beendigung des Vertrags auf der Grundlage von Artikel L. 134-12 des französischen Handelsgesetzbuchs.
Der Auftraggeber widersprach jedoch der Forderung nach Zahlung einer Ausgleichszahlung unter Berufung darauf, dass vielmehr dem Handelsvertreter ein schweres Fehlverhalten vorzuwerfen sei. Gleichzeitig nahm er den Handelsvertreter aufgrund dieses Fehlverhaltens in Haftung und verlangte von diesem Schadensersatz.
In der Berufungsinstanz hatte das Berufungsgericht Nîmes entschieden, dass der Handelsvertreter tatsächlich ein schweres Fehlverhalten begangen habe, was zur Folge hatte, dass dem Handelsvertreter sein Recht auf Ausgleichszahlung bei Vertragsende gemäß Artikel L. 134-13 des frz. Handelsgesetzbuchs entzogen wurde. Das Berufungsgericht von Nîmes hatte den Handelsvertreter außerdem dazu verurteilt, seinem Auftraggeber Schadensersatz für den erlittenen Schaden zu leisten.
Da der Handelsvertreter mit dieser Entscheidung unzufrieden war, legte er Kassationsbeschwerde (Revision) zum Kassationsgerichtshof ein. In seiner Begründung machte er geltend, dass ein und dieselbe Pflichtverletzung nicht sowohl den Entzug der Ausgleichszahlung bei Vertragsbeendigung als auch die Leistung von Schadensersatz an seinen Auftraggeber nach sich ziehen könne.
In seinem Urteil vom 19. Oktober 2022 wies der Kassationshof aber das Rechtsmittel des Handelsvertreters zurück und stellte klar, dass im Falle der Beendigung eines Handelsvertretervertrags der Verlust des Anspruchs des Handelsvertreters auf die in Artikel L. 134-12 des Handelsgesetzbuchs vorgesehene Ausgleichszahlung aufgrund seines schweren Fehlverhaltens gemäß Artikel L. 134-13 des frz. Handelsgesetzbuchs dem Auftraggeber gleichzeitig die Möglichkeit gibt, den Handelsvertreter auf Ersatz des Schadens zu verklagen, der ihm durch dieses Fehlverhalten entstanden ist (frz. Kassationsgerichtshof, Handelskammer, 19. Oktober 2022, Nr. 21-20.681).
Der Handelsvertreter, der ein schweres Fehlverhalten begangen hat und dadurch seinen Anspruch auf Ausgleichszahlung für die Beendigung des Handelsvertretervertrags verliert, ist also nicht vor einer Haftungsklage seines Auftraggebers auf Ersatz des Schadens geschützt, der diesem durch dieses Fehlerverhalten entstanden ist.
Für weitere Informationen stehen Ihnen unsere deutsch-französischen Rechtsanwälte selbstverständlich gerne zur Verfügung.
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