Sachverständigenverfahren in Frankreich
Themen-Klassiker zum französischen Wirtschaftsrecht
Transkript zum Videobeitrag
Herzlich willkommen, ich darf sie zu diesen Kurzinformationen der deutsch-französischen Rechtsanwaltskanzlei EPP Rechtsanwälte Avocats in Bezug auf Sachverständigenverfahren und Beweisführung in Frankreich herzlich begrüßen.
Mein Name ist Markus Lubnow. Seit 15 Jahren berate ich deutschsprachige Unternehmen in Frankreich, insbesondere in Sachen Produkthaftung, Bau und Immobilien sowie bei hiermit zusammenhängenden Sachverständigen- und Gerichtsverfahren. Die Kanzlei EPP berät seit mehr als 25 Jahren deutschsprachige Unternehmen in allen unternehmens- und wirtschaftsrechtlichen Belangen in Frankreich und ist an unseren fünf Standorten in Deutschland und in Frankreich zu finden. Über Bedeutung, Folgen und Umgang mit Sachverständigenverfahren in Frankreich informiere ich sie jetzt.
Zum Sachverständigenverfahren vorab: Kommt es zu einem erheblichen Schadensfall, so führt dies in der Regel zur Einleitung eines Versicherungs- oder gerichtlichen Sachverständigenverfahrens in Frankreich. Dies ist typischerweise dann der Fall, wenn es zu einem Produkt- oder Maschinenausfall, Brandschaden oder Arbeitsunfall kommt. Die Versicherungssachverständigen werden sodann bei der Schadensregulierung auf Veranlassung der Versicherer tätig, während die gerichtlichen Sachverständigen auf Antrag einer der Parteien per Gerichtsbeschluss ihre Tätigkeit aufnehmen. Die Sachverständigentätigkeit in Frankreich nimmt in beiden Fällen, ihrem Gegenstand wie auch ihrer Funktion nach, einen ganz erheblichen Platz bei der oftmals streitentscheidenden Beweiserhebung und den hiermit verbundenen Haftungsrisiken ein. Der Umgang mit einer Ladung zur Teilnahme an einem Sachverständigenverfahren in Frankreich sollte daher sorgfältig bedacht werden.
Ladung zum Sachverständigentermin
Sie werden mit einem Schadensfall sowie mit der sich anschließenden Ladung zu einem Sachverständigentermin konfrontiert. Was bedeutet dies?
Die Funktion der Sachverständigentätigkeit ist nach französischem Verständnis weiter gefasst, als wir dies aus dem deutschsprachigen Raum kennen. So vollzieht der französische Sachverständige die Feststellung aller schadensrelevanten Aspekte, insbesondere zu Schadenshergang, chronologischen Abläufen, Vertragsverhältnissen, technischen wie auch vertraglichen Verantwortlichkeiten und Versäumnissen aller im Rahmen der Schadensverursachung in Betracht kommenden Beteiligten. Der Gegenstand der Sachverständigentätigkeit betrifft daher die Beweiserhebung im weitesten Sinne, das heißt: Feststellung der schadensrelevanten Sachverhalte, Anhörung von Zeugen und die Wertung der jeweiligen Verursachungsbeiträge – und zwar über die Beantwortung rein technischer Fragestellungen hinaus.
Dem allgemeinen Verfahrensprinzip im Beweiserhebungsverfahren zufolge wirken hierbei alle getroffenen Feststellungen auch allen Beteiligten gegenüber als rechtlich verbindlich. Im Vordergrund des Sachverständigenverfahrens steht daher die strategische Positionierung eines jeden Beteiligten, mit dem Ziel der Abwehr von Haftungsansprüchen unter Heranziehung sachverhaltsbezogener und technischer Argumentation nebst entsprechender Dokumentation. Berücksichtigung finden hierbei nur solche Aspekte, die der Sachverständige selbst wahrgenommen und aufgenommen hat, gemäß dem allgemeinen Grundsatz „Alles, was nicht selbst festgestellt und gesehen wurde, existiert nicht“.
Beweiswert der Feststellungen des Sachverständigen
Die Folgen der Feststellungen des Sachverständigen lassen sich wie folgt beschreiben:
Die Feststellungen des Sachverständigen stellen faktisch die gerichtlich zugrunde gelegte Beweiserhebung zum Sachverhalt und zur Abgrenzung der verschiedenen Risikosphären dar. Nachträglich vorgebrachte Einlassungen oder korrigierende Beweiserhebungsmaßnahmen erfolgen in der Regel nicht, sodass die Anhörung von Zeugen oder auch die Berücksichtigung von Gegengutachten in gerichtlichen Auseinandersetzungen keine zufriedenstellende Berücksichtigung mehr finden werden. Daher handelt es sich bei dem französischen Sachverständigenverfahren im Wesentlichen um strategische Termine im Interesse jedes einzelnen Beteiligten und somit um das wesentliche Instrument der Beweisführung.
Die französische Rechtsprechung lässt auch über Vertragsverhältnisse hinweg eine direkte Durchgriffshaftung des Endkunden oder Geschädigten gegen einen Hersteller zu. Daher ist die sachverständige Beweiserhebung für schadensbetroffene Unternehmen aus dem deutschsprachigen Raum und deren Versicherer von ganz erheblicher Bedeutung. Wird das Unternehmen im Rahmen eines Sachverständigenverfahrens in Frankreich in Anspruch genommen, sollte daher möglichst frühzeitig die Einbeziehung eines etwaigen mitverantwortlichen Zulieferers oder Subunternehmers bzw. Versicherers zum Zwecke der eigenen Schadloshaltung in Erwägung gezogen werden.
Der Beweiswert des Sachverständigengutachtens ist hierbei ganz erheblich. Dies gilt für Sachverständigenberichte der Versicherer („expertise amiable“) wie auch für die gerichtlichen Sachverständigengutachten („expertise judiciaire“).
Wichtige strategische Hinweise
Zusammenfassend zum Umgang mit einem französischen Sachverständigenverfahren im Schadensfall:
Bei der Ladung zur Teilnahme an einem Sachverständigentermin in Frankreich bietet nur die aktive und ergebnisorientierte Teilnahme an einem solchen Verfahren Aussicht auf sachgerechte Ergebnisse.
Der Aufbau einer konstruktiven Gesprächsebene mit dem Sachverständigen ist hierbei ganz entscheidend. Wir überprüfen hierbei in Betracht kommende Regressansprüche und erforderliche verjährungshindernde Maßnahmen. Verlassen Sie sich nicht auf die technische Sorgfalt des Sachverständigen, denn dieser wird die Interessen Ihres Unternehmens nicht unaufgefordert sachgerecht berücksichtigen.
So dient die Sachverständigentätigkeit primär der Identifizierung eines liquiden Haftungsverantwortlichen. Strategisch sind die Verfahrensbeteiligten zur Vermeidung eigener Haftungsrisiken tätig. Der Verzicht auf eine Beteiligung führt auch bei vermeintlich eindeutigen technischen Sachverhalten oftmals zu unliebsamen Ergebnissen.
Ich hoffe, diese Hinweise erleichtern Ihnen den Umgang mit französischen Schadensfällen und Sachverständigenverfahren. Weitere Informationen hierzu finden Sie in unserem Kanzleimagazin La Nouvelle zur Produkthaftung und zum Verfahrensrecht in Frankreich und auf unserer Kanzleiwebseite www.rechtsanwalt.fr (Prozesse, Sachverständigen- und Schiedsverfahren in Frankreich). Selbstverständlich stehe ich Ihnen gerne für weitere Auskünfte per Mail oder telefonisch gerne zur Verfügung. Ich wünsche Ihnen gutes Gelingen in Frankreich und verbleibe mit bestem Gruß. Auf Wiedersehen!
Marcus Lubnow